Bildzitate


First Installation: 13.05.2000 Last update: 24.11.2000


Jakob Steinbrenner: Gibt es Bildzitate? Und wenn ja, wie unterscheiden sie sich von sprachlichen? Und falls es einen grundlegenden Unterschied zwsichen digitalen und nicht digitalen Bildern gibt, der mir zwar bis heute noch nicht bekannt ist, wie unterscheiden sich dann digitale von nicht-digitalen Bildzitaten?

Martin Rost: Lässt sich nicht behaupten, dass ein Film ueberwiegend aus Selbstzitaten besteht, von Schnitt zu Schnitt, die ihrerseits die Einzelbilder darbieten?

Ein Bildzitat kann ich mir in verschiedenen Formen vorstellen:

- als altes Bild im neuen Bild,

- als Variation eines alten Bildes als neues Bild

- beides in einem (quasi als nichtähnliche Selbstähnlichkeit).

(Mit der Frage nach der Grenze zwischen dem Alten und dem Neuen, der es bedarf, um zwischen Zitat und Kopie unterscheiden zu koennen, bewegt man sich auf die Menon-Paradoxie zu (vgl. Plato 1955: Mit den Augen des Geistes. Protagoras - Enthyphron - Lysis - Menon - Der VII. Brief), die besagt, daß das Neue nicht wie das Alte sei, sonst wäre es kein Neues. Das Neue muß aber zugleich und andererseits in einer Beziehung zum Alten stehen, weil es nur so als Neues - und nicht etwa als nur Anderes - wahrgenommen werden kann. Wie immer bei Paradoxien dieser Art werden dann sozial mehr oder weniger gut begruendet Grenzen als funktionierende Workarounds fuer das jeweilige System gefunden: Kuenstlerisch gilt auch die 1:1-Kopie eines Einelbildes als akzeptabel, juristisch handelt sich der Kopist eines Einzelbildes u. U. Aerger ein.)

>Und wenn ja, wie unterscheiden sie sich von sprachlichen?

Bei einem Bildzitat laesst sich, im Unterschied zur Sprache, nicht festzurren oder ausmachen, ob es bestaetigt oder widerspricht. Dies bei Bedarf zu entscheiden ist der Kontextfaehigkeit des Beobachters ueberlassen. Es liesse sich beim Bildmacher nachfragen, aber eben: nachfragen (, der einem dann mitteilte, dass sich ihm diese fuer ihn sinnlose Frage nicht stellte, es reichte, dass es passte). Jede vermeintlich erreichte Eindeutigkeit von Beziehungen muss vermutlich ueber Transformation in/aus Sprache geschehen.

>Und falls es einen grundlegenden Unterschied zwischen digitalen und nicht >digitalen Bildern gibt, der mir zwar bis heute noch nicht bekannt ist, wie >unterscheiden sich dann digitale von nicht-digitalen Bildzitaten? Aus meiner Sicht ist das Treffen einer solchen Unterscheidung weder plausibel noch fruchtbar.

Hans Dieter Huber: Sie haben keine Anführungszeichen. ;-)) Das ist ja nun ein klassisches Sujet der Kunstwissenschaft. Es gibt immer wieder Bilder, die auf andere ähnliche verweisen, sie zitieren oder gar Teile daraus kopieren. Legen Sie beispielsweise Bilder von Paolo Veronese neben die von Giovanni Battista Tiepolo und Sie können die Rezeption direkt sehen. Oft kommt es auch vor, daß bestimmte antike Statuen in Gemälden zitiert werden. Oder neulich habe ich in einer Werbung für Männerparfüm (?) ein Judith und Holofernes-Zitat gesehen. Grade die Werbefritzen klauen ja wo es nur geht. weil man halt auch nicht jede woche eine neue idee hat, bedient man sich im großen Bilderschatz der europäischen Kunstgeschichte. Und keiner merkts, weil es keiner mehr kennt. Oder nehmen sie Vivienne Westwood. Sie gibt ihre Inspirationsquellen (Holbein, Manierismus, offen zu) Oder der Maler Francis Bacon: zitiert das Santa Croce-Kruzifix von Cimabue in einem seiner Bilder.

Matthias Bruhn: Die Kunstgeschichte meint mit "Bildzitat" ja das Aufgreifen einer künstlerisch vorbildlichen Form durch ein anderes Kunstwerk, wobei Abweichungen als "persönliche Interpretation" und der Vorgang der Übernahme als "Reminiszenz" gewürdigt werden. Die Künstler sind freie Individuen, die durch ihre mündige Auswahl, ihr "jugement", die Bilder in einen Diskurs treten lassen und auf diese Weise an einer vornehmen "Republik der Künstler" teilhaben. Die Vorstellung des Zitats definiert zu einem guten Teil das "System Kunst". Eine vergleichbare Komplexität des Zitatbegriffes gilt sicherlich genauso für technische Bilder, jedoch in anderer Richtung. Während man dem Foto oder Film wegen ihrer neuen und einheitlichen technischen Basis oft den Zugang zum System Kunst verweigert hat, da hier die Kompositions-, Nachahmungs- und Replikationsmechanismen auf eine andere Ebene verlagert wurden, hat das "digitale Bild" (wie vielleicht auch die sprachliche Metapher) scheinbar so viele verschiedene Aspekte, daß man es eigentlich in seine verschiedenen Teile zerlegen müßte (Vorschläge zum "immediaten", "prozessualen" Bild oder zur Trennung von Bildbegriff, Bildmedium und Bildstruktur wurden ja schon gemacht): ich würde es so plakativ formulieren: In den Windungen eines Betriebssystems kann ein Scan eine bloße Zahlenmatrix sein, im Photoshop ist es Editiervorlage und Variation seiner selbst, im Malprogramm kann man "Originale" quasi nachmalen, und als Teil von Grafiken, Animationen oder Webpages ist sehen wir grafische Elemente namens "Bild" mit wiederum eigenen ästhetischen Eigenschaften (hier gibt es sicherlich Widerspruch). Man kann aber m.E. bei digitalen Erscheinungen genauso von "dem" Bild und seinem Zitat sprechen, wie man schon in der idealistischen Kunsttheorie seit der Renaissance von der "idea" oder dem "concetto" gesprochen hat, welches in Gattungen wie Wandteppich, Skizze oder Ölmalerei "erscheint". Nennen wir die Bilddatei nun prozessual, könnte man auch das "concetto" einen kreativen Dauerprozeß nennen. Es hängt also vielmehr von der Ebene ab, die man da vergleicht.

Jakob Steinbrenner: Vielen Dank für die zahlreichen Hinweise und Vorschläge zum Thema "Bildzitat"!

Dazu noch drei Anfragen:

1) Wie zurecht bemerkt gibt es bei Wortzitaten Anführungszeichen, gibt es so etwas auch bei Bildern?

2) Ein entscheidendes Merkmal von Wortzitaten ist, daß dasjenige was zwischen den Anführungszeichen steht und dasjenige worauf das Zitat Bezug nimmt, vom selben syntaktischen Typ ist (es wird z.B. gleich buchstabiert). Ist dies auch bei Bildern möglich?

3) Sollte man bei Bildern nicht besser statt von Anspielungen statt von Bildzitaten sprechen?

Tanja Michalski: > 1) Wie zurecht bemerkt gibt es bei Wortzitaten Anführungszeichen, gibt es > so etwas auch bei Bildern?
- natuerlich nicht immer, aber es kann bildinterne Rahmungen geben und ansonsten scheint es (so unpassend sich das für Deine Ohren wahrscheinlich anhört) eher graduell unendlich abstufbare Formen der Zitierbarkeit zu geben, die sich etwa im Grad der Ähnlichkeit messen laesst (wobei das nicht notwendig formale sondern auch inhaltliche Ähnlichkeit sein kann) / Ikonen etwa zitieren/kopieren andere Ikonen und immerhin wird die Ähnlichkeit rezipiert und ernst genommen (= auch die Kopien werden verehrt) / Picasso zitiert aber auch bewußt die Meninas und hier funktioniert das Zitat nicht über wörtliche Ähnlichkeit sondern vielleicht könnte man sagen über 'strukturelle'.

Stefan Römer: Nach der Lektüre der bisherigen Beiträge erscheinen mir folgende Punkte betonenswert:

1. Die Frage nach dem Bildzitat wirft unmittelbar die Frage nach dem Bildbegriff auf. Mir fällt auf, dass dabei vielleicht notgedrungen jede/r auf sein Begriffsfeld rekurriert.

2. Ich schlage jedoch vor, die grundsätzliche Unterscheidung im Auge zu behalten, ob es sich um irgendein Bild oder ein spezifisches, bspw. ein künstlerisches Bild handelt. Nach dieser Unterscheidung richtet sich die Rhetorik. Es besteht durchaus immer noch die Möglichkeit, Bilder diesseits oder jenseits des Computers zu betrachten (sorry Wolfgang) und wenn diese im Kunstdiskurs eine Rolle spielen, sollte es durchaus erlaubt sein, sie mit kunsttheoretischem Vokabular zu behandeln. Wenn es auch verlockend scheint, diese Trennung Visual-Studies-mäßig zu entdifferenzieren, da der Computer als Archivierungs- und Produktionsmedium nach wie vor Euphorie auszulöst, sollte trotzdem nicht übersehen werden, dass die frage nach dem Medium nicht die nach dem Bild ist. Die einzelnen Elemente der Bildformation sind zwar nicht unabhängig vom Medium zu betrachten; dieses ist aber auch nicht als dominant einzuschätzen. Ich schlage den Begriff der konzeptuellen (Bild-) Formation vor, der eine situationsbezogene Konstellation von Medium, Kontext, Subjekt, Intention, Sujet, Motiv entwirft.

3. Zur Zitierbarkeit von Bildern referiere ich aus meiner demnächst auf der Humboldt-Uni-Web site nachzulesenden Dissertation mit dem Titel "Der Begriff des Fake":

Der amerikanische Kunsthistoriker Leo Steinberg kommt anläßlich der Ausstellung Art about Art (1979) in seiner ikonologischen Untersuchung der Wiederverwendung von kanonischen Motiven zu dem Schluß: ªAll art is infested by other art.´ - aus welchen Gründen auch immer, dem Bedürfnis etwas zu erfinden oder aus Arbeitsersparnisgründen. Damit wiederholt Steinberg seine frühere These, daß alle Kunst von Kunst handelt. Jenseits dieses oft bemühten Allgemeinplatzes spezifiziert Steinberg jedoch, daß die in der Kunstgeschichte verbreitete Vorstellung vom Einfluß oder der Inspiration ein Mißverständnis hinsichtlich der künstlerischen Produktion sei, weil so von einem unwillkürlichen Reflex aus einer fremden Quelle ausgegangen wird. Dagegen nimmt Steinberg für künstlerische Entscheidungen eine bewußte Vorgehensweise an. Dies rehabilitiert implizit auch die Fälschung als künstlerische Strategie. In einer zweiten scharfen Trennung erklärt er die durch Analogie aus der Literatur und anderen kunstfremden Bereichen hergeleiteten Begriffe ªZitat´ oder ªPlagiat´ für unbrauchbar, weil die entsprechende Kenntlichmachung (Anführungszeichen) in einem Bild fehlen muß. In diesem Zuge werden von kunstfremden Disziplinen abgeleitete Begriffe wie ªwandering motifs´, ªquotation, plagiarism´ und ªstealing, borrowing´ als unbrauchbare Analogien angesehen. Hier erscheint es angebracht, sich an die Beziehung zwischen dem Auftauchen der Anführungszeichen und dem Originalgenie zu erinnern. Vor allem von der Renaissance-Malerei ausgehend und von Gedanken zur Pop Art beeinflußt, kommt Steinberg zu dem Schluß: ªFor one is hard put to think of a painting in which a quoted item properly credits its source.´ Da in jeder Feststellung von motivischen oder stilistischen Anspielungen mit einem kunstfremden Vokabular ein gewisser moralischer Vorwurf mitschwingt, kommt es nach Steinberg darauf an, die spezifische Anwendung herauszuarbeiten. Dagegen greift Katrin Sello in der Ausstellung Nachbilder. Vom Nutzen und Nachteil des Zitierens für die Kunst - in bewußter Absetzung gegen die Ausstellung Art about Art, die sich ihrer Meinung nach zu sehr an Rezeptionsgeschichte orientiert - wieder auf den Begriff ªZitat´ zurück. Ihre insofern regressive These lautet: ªDer reflektierte Umgang mit der Kunstgeschichte macht die Nachbilder immer auch zu Interpretationen ihrer Vorbilder.´ (Nachbilder - Vom Nutzen und Nachteil des Zitierens für die Kunst, Hannover 1979, 14) Da sie phänomenologisch und ikonografisch die Zitatformen untersucht, anstatt Differenzen der künstlerischen Strategien zu akzentuieren, bemerkt sie für die 60er und 70er Jahre nur eine allgemeine Zunahme der ªNachbilder´. Auf diese Weise gerät Sellos Unterscheidungskriterium - die Haltung der Künstler zu ihrem Vorbild und ihrem Umgang mit Geschichte - zur Platitüde: ªJe politischer sich die Realisten verstanden haben, desto intensiver hat sich ihre Beschäftigung mit der Geschichte, also auch der Kunstgeschichte, in ihrer Arbeit niedergeschlagen.´ Mit der Auswahl an zeitgenössischer Malerei beharrt die Konzeption der Ausstellung auf einem Allgemeinplatz und verwirft die von Steinberg geforderte Differenzierung. Damit wird die Unbrauchbarkeit des Zitatbegriffs demonstriert, weil die Interpretation sich mit der Erschließung der ursprünglichen Bildquelle begnügt anstatt sich der Differenz zu widmen. In der Appropriation art werden schließlich bestimmte Formen des Zitierens entwickelt, die so vorher nie aufgetaucht sind. Bspw. bei Louise Lawler und Richard Prince werden die Anführungszeichen und die Fußnoten in das Bild eingeschlossen.


Hans Dieter Huber