Die Sprache der Bilder


First Installation: 13.05.2000 Last update: 11.08.2000


Hans Dieter Huber: Da wir alle aus den verschiedensten Wissenschaftsdisziplinen kommen, wäre für mich die Frage nach einer möglichen gemeinsamen Fachsprache über Bilder das erste und nächste, über was ich gerne einmal diskutieren würde.

Klaus Sachs-Hombach: Deine Fragen sind philosophisch zentral und jede für sich auf die Schnelle kaum zu beantworten. Im folgenden nur einige Anmerkungen:

Hans Dieter Huber: 1.) meint jeder Forscher u.U. etwas anderes, wenn er von Bildern spricht? Die meisten schon, vermute ich mal.

Tanya Michalski: Wahrscheinlich ist das nicht zu vermeiden und sollte eher in seinen positiven Aspekten gesehen werden - wie langweilig, wenn jeder unter 'Bild' haargenau das gleiche verstünde und (wie bereits vorher erwähnt) auch Mißverständnisse haben ihren Reiz und können weiterführen / zudem scheint ein grundlegendes Problem die Frage nach der Gestalt von Bildern zu sein - also ihre formale Erscheinung und deren Wirkung auf den Betrachters... / Das gilt für Metaphern (also im weitestesten Sinne sprachliche Bildern) ebenso wie für Bilder anderer Medien - wobei diese krude Formulierung bereits das gesamte Problem vor Augen führt, da eine Definition von 'Bild' wohl auch eine von 'Medium' nach sich ziehen wuerde... / hat ein Bild nicht viel mit einer mediatiasierten Botschaft oder zumindest einer bewußten Setzung zu tun?

Hans Dieter Huber: 2.) Sollten wir uns -wenn möglich- auf einen gemeinsamen begriff von bildern einigen - und wenn ja, welchen?

Klaus Sachs-Hombach: Das wäre schön. Es ist aber zu befürchten, dass dies auf absehbare Zeit nicht gelingen wird. Hier scheint mir im übrigen die zentrale Aufgabe der Philosophie zu liegen: Sie sollten zur Klärung der verschiedenen Bildbegriffe beitragen und damit die jeweiligen Vor- und Nachteile ihrer Verwendung aufzeigen. Wahrscheinlich ist aber schon fraglich, was eigentlich als Vorteil und was als Nachteil zu gelten hat. Realistisch gesehen wird man daher wohl nur erwarten dürfen, dass die verschiedenen theoretischen Möglichkeiten der jeweiligen Bildbegriffe möglichst umfassend expliziert werden, um so ihre Beurteilung zu erleichtern.

Hans Dieter Huber: 3.) Oder soll lieber jeder seinen eigenen bildbegriff haben und ihn dafür am anfang seiner Rede oder seines Textes kurz definieren?

Klaus Sachs-Hombach: Solange eine rationale Einigung nicht möglich ist, wird man jedem wohl seinen eigenen Bildbegriff zugestehen müssen. Ein solcher 'Pluralismus' kann auch durchaus produktiv sein (und ist in der Philosophie ja wohl der status quo). Die Verständigung würde in diesem Fall natürlich erleichert, wenn jeder klar machen würde, was er unter "Bild" versteht. Eine Definition zu fordern, scheint mir aber zu viel es Guten (weil es einem Redeverbot gleichkommen würde).

Hans Dieter Huber: 4.) Aber: Kann man überhaupt eine einigermaßen vernünftige Definition dessen geben, was Bilder sind?

Klaus Sachs-Hombach: Wird unter "Definition" verstanden, dass notwendige undhinreichende Kriterien zur Klassifikation der entsprechenden Gegenstände angegeben werden können, so scheint es mir durchaus fraglich, ob sich das für den Bildbegriff leisten läßt. Ich meine aber nicht, dass hier so streng verfahren werden muss. Es scheint mir zumindest möglich, den Bildbegriff vernünfig einzuführen (was allerdings Einigekeit darüber voraussetzt, was"vernünftig" heißen soll).

Stefan Heidenreich: Im Netz - wo diese Liste ja "ist" - regeln Datenformate, was als Bild gilt. Spricht etwas dagegen, "Bild" all das zu nennen, was von Soft- und Hardware als Fläche von Farbwerten codiert und wiedergegeben wird? poetische Bilder wären dann "Bilder" in Anführungszeichen... ein *.txt kein Bild, eine *.pdf-Datei ein Bild?

Claus Pias: die dateiendung ist ja nicht das problem, sondern die darstellung. die ganze diskussion entsteht ja erst, wenn bilder und text auf die gleiche weise aufgeschrieben werden können. vorher waren sie schlicht nicht konvertierbar, und aus & auf dieser unmöglichkeit kann sich (postromantische) kunstgeschichte ja erst begründen. denn wenn das, was sie schreibend zu erreichen sucht, *prinzipiell* nicht in schrift konvertierbar ist, kann sie auch unendlich schreiben (und unsagbarkeitstopoi produzieren). die proto-akademische kunstgeschichte eines rumohr z.B. hat sich deshalb auch daruf beschränkt, anzugeben wo ein raffael hängt und nicht wie er aussieht.
jetzt aber ist "FF FF FF" eben sechsmal "F" oder hexadezimal dreimal 256 oder eben ein weißes pixel in 24-bit farbtiefe. der springende punkt liegt in der darstellung, und auf dem computer "ist" alles bild, was als bild dargestellt *wird* (nicht werden könnte, denn diese virtualität haben alle daten). wolfgangs idee, dann auch den gescannten text als bild zu lesen ist ja bei designern schon alltag, die sich das schriftbild (sic) ansehen, den schwärzungsgrad, den durchschuß usw. und von sinn eher irritiert werden. vielleicht könnte man ganz konventionalistisch über die "darstellung" weiterkommen und diese auch historisieren, indem man behauptet, daß alles was sich als bild dar-stellt (als bild hin-, auf- oder ausgestellt wird) bild "ist" und damit die sache ent-ontologisieren. (so wie kunst erst mal das ist, was in dafür bestimmten räumen aufbewahrt wird -- siehe boris groys, über das neue)

Hans Dieter Huber: Dieser Weg wäre mir sehr sympathisch, denn dann könnte man an dieser Stelle den Beobachter ins Spiel bringen und argumentieren, daß letztendlich ein Beobachter aufgrund seiner Unterscheidungen darüber entscheidet, was als Bild gilt und was nicht. Denn genau genommen, stellen sich Bilder ja nicht *selbst* dar, hin, auf, oder aus, sondern *werden* dar-, auf-, hin- oder ausgestellt. how about that?

Klaus Sachs-Hombach: Und was wäre, wenn die Text-Datei folgendes enthielte:



Ist es sinnvoll, die Datei selbst als Bild zu bezeichnen?

Stefan Heidenreich: sicher, es gibt viele auch Mischformen: konkrete Poesie, Font-Layout, grafische Textgestaltung. Der entscheidende Punkt wäre in Grenzfällen die Effizienz von Codierung. *.pdf ist weniger effizient als *.txt für Nicht-Bilder. Selbst wenn der Informatik-Bildbegriff praktisch zu Grenzfällen führt: ich halte allein aus Respekt vor der Wissenschaft, die die Kanäle hervorgebracht hat, über die wir kommunizieren, für wichtig, deren technischen Bildbegriff zumindest ernsthaft zu erwägen. als Ausgangspunkt, an dem man nicht stehenbleiben muss.

Gottfried Kerscher: Es geht hier, so glaube ich, nicht um Idealismus oder nicht. Es treten Probleme auf, die grundlegend fuer das menschliche Denken sind und sich in der Umgangssprache eingenistet haben: Das Bild alias Fotografie, Film, Werbebild, Computergrafik und vieles mehr. Ich verstehe unsere (nicht nur die kunsthistorische und kunstwissenschaftliche) Aufgabe so, dass wir zuerst materielle und formale Qualitaeten wuerdigen, dann aber moeglichst bald/schnell auch die bildichen Qualitaeten in Augenschein nehmen (z.B. was geschieht [mental] bei der Betrachtung von Videos von Bill Viola, welche Aussagequaltaeten haben Werbebotschaften [wie konnten die Auseinandersetzungen um die Fotos der Benetton-Werbung entstehen], wie agieren Kuenstler im Internet, wie ist ein Filmbild angelegt, um im Betrachter bestimmte "Anmutungen" zu generieren, welches sind die "Anweisungen" an den Rezipienten bei der Betrachtung eines Gemaeldes usw.). Diese Fragen gehen weit ueber das hinaus, was zur Zeit in den Bildwissenschaften diskutiert wird, wobei ich vielen anderen Teilnehmerinnen zustimme, dass es grundsaetzliche Probleme gibt - etwa:

Stefan Heidenreich: Die Argumentation von Claus Pias verschiebt die Frage lediglich tautologisch um ein Eck - vom "Bild-sein" zum "als Bild gezeigt werden" - um sie dann im Betrachter ganz eingehen zu lassen. Und weil "der Betrachter" noch nie etwas anderes war als eine Wissenschaftsfiktion kann man dann gleich sagen: alles ist ein Bild, was wir Wissenschaftler (oder unser Alter-Ego: der Betrachter) als Bild bezeichnet. Was wiederum soviel heisst: dass sich jede Definition von Bild erübrigt hat. Auch eine pragmatische Lösung.
Ein Vorschlag:
es gibt zwei Bildbegriffe:einen (engeren) in der technischen Datenverarbeitung und einen (weiteren, flexiblen) in einer Sprechergemeinschaft.

Martin Rost: Das sehe ich anders. Dieses Verschieben ist nicht tautologisch, sondern referenziert auf Soziales anstatt auf die Ergruendung des "eigentlichen Bildes" am vordergruendig einfach gegebenem Bild.

Nachdem ich weitere Versuche hier gelesen habe, moechte ich behaupten, es macht guten Sinn, drei Bildbegriffe zu unterscheiden, um sie festzulegen:

a) Einen am Objekt operativ ansetzenden Bildbegriff, der das Handwerkliche (Werkzeug) oder die technischen Datenverarbeitung (Maschine) thematisierte.

b) Einen am Subjekt operativ ansetzenden Bildbegriff, der die vom Bild evozierte Anmutung im einzelnen Bewusstsein (selbstverstaendlich exklusiv allein in meinem) thematisierte.

c) Und einen an Sozialitaet operativ ansetzenden Bildbegriff, der Beobachtungen organisiert, wie Beobachter "ueber" (ueber im Sinne von "als thematische Objekte", "in Form von" und "durch Bilder hindurch") Bilder kommunizieren (indem sie sie aufhaengen, handeln, einordnen, beurteilen..).

Festgehalten werden sollte, dass diese Begriffe, die sich bemuehen, eine Form fuer die Paradoxie zu finden, ueber etwas zu sprechen, das eigentlich gerade genau nicht so ohne weiteres in Sprache und Denken aufgeloest werden sollte/ kann/ darf... als Kommunikationen ueber Bilder geformt sind. Wir malen/ fotografieren/ filmen/ telepathieren hier ja nicht, sondern versuchen, Wissenschaft zu betreiben, suchen also Halt am Wahr/Falsch-Code, der als Kommunikation durch fachspezifische Theorien und Methoden innere Anschlussfaehigkeit und externen Umweltkontakt organisiert. Insofern ist die Piassche Wendung unerlaesslich.



Wolfgang Ernst: >Ist es sinnvoll, die Datei selbst als Bild zu bezeichnen?< Der Scanner jedenfalls sieht es so: einen Text als Bild (bevor es durch ein OCR-Programm läuft). Dies erlaubt immerhin, Buchstabenmengen nach Bildkriterien zu sortieren, und damit Ordnungen zu generieren, die jenseits der sprachlichen Semantik liegen, dennoch aber Strukturen aufscheinen lassen, die der Text-Blick versperrt. Das wäre noch die Frage, ob die von Scanner generierte Ordnung wirklich jenseits einer "sprachlichen Semantik" liegt. Denn das hängt sehr davon ab, was man unter einer "sprachlichen Semantik" versteht. Es ist klar, daß der Scanner und die Scansoftware die Buchseiten erstmal als Bild "sieht". Aber was passiert dann? Werden einzelne Buchstaben als "einzelbilder" oder "bildelemente" ganz doof und mechanisch von buchstabe 1 bis buchstabe x "übersetzt"? Vergleicht die object recognitionsoftware einzelne buchstaben mit gespeicherten standardprototypen oder kann sie auch schon ganze Wörter als "Bild"-Einheit erkennen?

Diese Frage suchte ich einmal mit einem Test zu beantworten, nämlich durch Einscannen von René Magrittes Gemälde (oder einem aus der Reihe) "Ceci n´est pas une pipe". War nämlich neugierig, ob ein OCR-Programm die gemalte Pfeife als Buchstabe "f" oder "p" identifiziert (und dafür den rechten Winkel anlegt). Meine Software vermochte nur Rauschen zu sehen, was mir aber medienarchäologisch sympathisch war. Ansonsten müßte ich nachschlagen in:Wolfgang Limper, OCR und Archivierung: Texterkennung, Dokumentation, Textrecherche, München (te-wi) 1993

Hans Dieter Huber: Martin Rost machte zu der Frage einer (möglichen) De-Ontologisierung des Bildbegriffs (Pias und Huber) den Vorschlag, drei Bildbegriffe von einander zu unterscheiden. Diese Unterscheidung halte ich bisher für die flexibelste und interessanteste Differenzierung. Man könnte dann weiter argumentieren, daß je nach spezifischem Forschungsinteresse sich der Bildbegriff an einem anderen "Gegenstands"-bereich ausrichtet und diesen durch seinen spezifischen Begriff akzentuiert. Dabei bleiben natürlich die anderen Bildbegriffe notwendigerweise als "blinde Flecke" der Unterscheidung ausgeblendet.

Wenn wir also einen Bildbegriff am "Objekt" ansetzen (wie es die > traditionelle Kunstgeschichte meist tut), am "Subjekt" (wie es die > Psychologie macht) oder an der "Sozialität" (wie es soziologie und kommunikationswissenschaft wahrscheinlich machen würden), dann sehen wir, daß der jeweils verwendete Bildbegriff nur eine bestimmte Nuance oder einen bestimmten Akzent setzt auf einen bestimmten "Gegenstands"-Bereich hin.


Hans Dieter Huber