KONZEPTION DES FORSCHUNGSPROJEKTES


First Installation: 10.9.2000 Last update: 10.9.2000


1. Inhaltliche Beschreibung und Beitrag des Vorhabens zum Programm
1.1 Bezeichnung des Vorhabens

Visuelle Kompetenz an der Schnittstelle Gestaltung - Informatik ­ Kommunikation. Anmerkungen zu einer offenen, flexiblen, zukunfts- und arbeitsmarktorientierten Weiterbildungssituation von Künstlern, Kunsterziehern und Kunsthistorikern

1.2 Kurzbeschreibung des Vorhabens

Das Projekt ist insgesamt auf vier Jahre angelegt. Es trägt einen spezifisch innovativen und experimentellen Charakter. Aus Gründen der Wissenschaftlichkeit und der Ökonomie der Mittel soll zunächst mit Studenten der Fachrichtung Kunsterziehung begonnen werden, die in der zweiten Hälfte ihres Studiums stehen, also im 6. ­ 8. Semester. Sie sollen in verschiedenen Kursformen eine Einführung in Geschichte, Funktion und Technik der verschiedenen Netzdienste erhalten (1. Sem.) Im 2.+3. Semester sollen sie, entweder in gemeinsamer Projektarbeit oder/und in Einzelarbeit selbst künstlerische Projekte für das Netz entwickeln. Parallel dazu sollen sie lernen, Kommunikationskonzepte zu entwickeln, logistische Planungsabläufe zu erstellen sowie ihre Arbeiten praktisch im Netz oder mit dem Netz zu realisieren. In einer Abschlußphase (4. Semester) soll eine kritisch-theoretische Reflexion des Netzes und der Neuen Medien erfolgen, gemäß den von Karl-Josef Pazzini in seinem Gutachten aufgestellten Grundforderungen (alte mit neuen Medien zu vergleichen, kritisch zu sensibilisieren) sowie wissenschaftlich-kritische Texte zu der Problematik verfasst und publiziert werden (Herausgabe von zwei Sammelbänden)
In der zweiten Phase des Projektes (3. ­4. Jahr) sollen die in den ersten beiden Jahren gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse auf weitere Berufsgruppen ausgeweitet werden. Hierbei wird vor allem an Kunsthistoriker und freie Künstler gedacht werden, aber wieder in der prinzipiellen Zweiteilung von Nutzergruppen: Studierende des 6.-8. Semesters kurz vor Abschluss ihres Studiums und Berufstätige in Weiterbildungskursen während der Semesterferien.

1.3 Beitrag des Vorhabens zum Programm

Der innovative Gehalt liegt in der horizontalen Verschränkung und Vernetzung verschiedener Berufsgruppen, Ausbildungsgänge und Altersstufen. Die Arbeit in diesem Modellprojekt wird an einer der entscheidenden interdisziplinären Schnittstellen zwischen visueller, künstlerischer Gestaltung, informatischen Programmierkenntnissen und kommunikativen Schlüsselkompetenzen gelehrt. Gerade im Online-Publishing- und E-Commerce-Bereich werden in den nächsten fünf Jahren Tausende von qualifizierten Arbeitsplätzen benötigt. Schon jetzt zeichnet sich ein außerordentlich großer Mangel an entsprechend ausgebildeten und qualifizierten Personen ab. Um so dringlicher erscheint es, daß die Ausbildungsinstitutionen auf diese immer größer werdende Lücke zwischen einer stark angestiegenen Nachfrage von seiten der Wirtschaft und Unternehmen eingehen.
Bei positivem Verlauf dieses Modellprojektes wird daran gedacht, dieses als ein gültiges Fort- und Weiterbildungsmodell im Sinne eines inter- und transdisziplinären Weiterbildungsmodelles weiter auf Zeit zu etablieren.
Das neue baden-württembergische Kunsthochschulgesetz, das am 1.1.2000 in Kraft getreten ist, fordert in § 27 Weiterbildung u.a. folgendes: "Die Kunsthochschulen sollen Möglichkeiten der künstlerischen und wissenschaftlichen Weiterbildung entwickeln und anbieten. Sie sollen dabei auch Modelle entwickeln, wie durch Weiterbildung das Studium bis zum ersten berufsqualifizierenden Abschluss entlastet werden kann."
Auch in dieser Hinsicht kommt dem hier vorgeschlagenen Projekt eine wichtige Schlüsselstellung als Modellversuch für die Zukunft zu.

 

2. Ziel und Begründung des Vorhabens
2.1 Problemlage und Lösungsansatz

Kunsthochschulen sind bis heute nur unzureichend auf die Herausforderungen der Neuen Medien gerüstet, sei es aufgrund fehlender technischer Ausstattung, sei es aufgrund der mangelnden Ausbildung der Lehrenden selbst, sei es aufgrund der traditionellen Ausbildungsstrukturen. Auf den sich immer deutlicher abzeichnenden Wandel unserer Gesellschaft und ihrer kulturellen Wert hin zu einer Informations- und Mediengesellschaft reagieren künstlerische Ausbildungsformen erst sehr spät.
Medienkompetenz, im Speziellen die kommunikative, informatische und gestalterische Kompetenz in der Handhabung von Netzwerken, Datenbanken und medialen Aufbereitungsformen von Wissen und Information ist heute zu einer entscheidenden Schlüsselkompetenz im Wettbewerb um zukunftsträchtige - und das heißt sichere- Arbeitsplätze geworden: Zitat Hubert Burda: "Die Situation hat sich gegenüber früher grundlegend verändert. ... Das Unternehmen kämpft ... um die besten Talente am Arbeitsmarkt. Wenn man von zehn Kandidaten zwei für sich gewinnt, kann man froh sein. Das wertvollste Potential sind heute eben gute Mitarbeiter."
Vor allem die Jugend, die die Zukunft unserer Gesellschaft bildet, muss möglichst gut und möglichst schnell auf diesen fundamentalen Wandel durch eine geeignete Ausbildung vorbereitet werden.

2.2 Geplante Arbeitsschritte und erwartete Ergebnisse
.Hier setzt das Projekt an. Zunächst sollen in einer ersten Phase (1 Jahr) angehende Kunstpädagogen eine Zusatzausbildung in der visuellen Medienkompetenz erhalten, um sie dann selbst in einem zweiten Schritt in der Schule, in der sie später lehren werden, weitergeben zu können. Denn angehende Kunstpädagogen sind hervorragende Multiplikatoren, da sie ihr Wissen sehr schnell wiederum an viele junge Menschen in der Schule weitergeben können. Hierbei werden auch curriculare und didaktische Modellsituationen zu entwickeln sein, wie man als Kunsterzieher im Schulalltag mit Kindern und Jugendlichen in den neuen Netzwerktechnologien arbeiten könnte (z.B. digitale Schülerzeitung, Zusammenarbeit von Deutsch- und Englischlehrern in der Korrektur und Übersetzung der Texte ins Englische)
Zunächst ist geplant, mit Studierenden der Kunsterziehung zu beginnen, die sich bereits in einem höheren Semester befinden, da sie wichtigem Multiplikatoren für die Zukunft darstellen. Sie erhalten eine praktische Einführung in die Aufstellung, Installation und den Betrieb von Netzwerken in den Betriebssystemen Windows und Macintosh, sowie eine Ausbildung an der Schnittstelle Visuelle Gestaltung im WWW, Einführung in Programmiertechniken sowie eine kommunikations- und organisationstheoretische Schulung. Im Zentrum stehen die persönliche Kompetenz in der Handhabung von Netzwerktechniken, die didaktische Hinführung und Anleitung zur Erarbeitung netzwerkspezifischer Gestaltungsformen im Kunstunterricht, sowie die kritisch-theoretische Reflexion des Verhältnisses alter zu neuer Medien. An dieser Stelle soll noch einmal deutlich gemacht werden, daß sich das Forschungsprojekt nicht auf eine unkritische praktisch-technische Nachqualifizierung von Kunsterziehern beschränken soll, sondern daß es sich vielmehr eng an den Fragestellungen des Pazzini-Gutachtens orientieren soll und die dort aufgeworfenen und diskutierten Fragen und Probleme auch einer grundsätzlicheren Klärung näherbringen sollen.
Die Fragestellung nach den dafür benötigten Schlüsselkompetenzen soll von Anfang an integraler Bestandteil der Fragestellung des Forschungsprojektes sein. Bereits jetzt lassen sich in diesem Planungsstadium folgende Bereiche von Kompetenzen, deren Erwerb angestrebt werden soll, als zentral herauskristallisieren: 1.) Teamfähigkeit, kommunikativ-argumentative Kompetenzen und Techniken, visuelles, sinnlich-anschauliches Urteilsvermögen, 2.) praktische Kompetenzen im kommunikativen -und technischen(!)- Handling von Netzwerken und Netzwerkstrukturen 3.) theoretisch-begriffliches Reflexionsvermögen in gesellschaftlicher, sozialer und politischer Hinsicht über Chancen, Risiken und Gefahren der neuen Netzwerke, 4.) grundlegende Programmierfähigkeiten in den für Netzwerke nötigen Programmiersprachen (also Perl, Java, Javascript)

2.3 Begleitende Untersuchungsaspekte/Fragestellungen

Die wissenschaftliche Begleitforschung soll von Anfang an parallel in Form von Umfragen und Evaluationen der Lehre durchgeführt werden. Daneben ist eine vertiefende theoretische Forschung angestrebt, welche die Erfahrungen im Projekt auf eine allgemein lehrbare Grundlagenforschung im Kunstbereich zurückführt. Sämtliche Lehransätze, Modelle, Kurse und Materialien sollen parallel zur Entstehung und Entwicklung des Forschungsprojektes auf einer Website publiziert und der interessierten Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellt werden. Auf diese Weise ist jederzeit ein kommunikativer Austausch mit anderen Projekten, die an der selben Fragestellung arbeiten, sowie eine Überprüfung der Forschungsergebnisse möglich.
Eine Verzahnung zwischen theoretisch-reflexiver Kompetenz und konkret-anschaulicher Erfahrung wird angestrebt. Ich denke dabei an eine Theorie der Produktion, Distribution, Rezeption sowie Einführung in Allgemeine Systemtheorie und Radikalen Konstruktivismus sowie an die Erarbeitung einer neuen Lern- und Lehrkultur.
Das Forschungsprojekt soll für Übersetzungsprozesse sensibilisieren, kritisches Forschen, Experimentieren und Produzieren soll gelehrt werden. (Vgl. hierzu vom Antragsteller: Kommunikation in Abwesenheit. Zur Mediengeschichte der künstlerischen Bildmedien. )
Hierzu wird eine kritische Auseinandersetzung mit den Metaphern des Computers notwendig sein. Ästhetische Arbeitsprojekte sollen ergänzt werden durch ein genaues Verständnis der Natur als Gegenpol des Technischen; hierzu ist vor allem die Zusammenarbeit mit Prof. Marianne Eigenheer angestrebt. Es geht um die Ermöglichung körperlicher Erfahrungen und um die Ausbildung einer genauen Wahrnehmung. Rückwirkungen der Neuen Medien auf Curricula und Praxis ästhetischer Bilder sind zu untersuchen, ökonomische Zwänge, Kosten für Medien und deren Finanzierung: Fernsehen, Telefon, Internet, Computer, Auto, Schallplatten, Bahn, Flüge. Das Ziel ist die Ausbildung einer erweiterten ästhetischen Urteilskraft. Die Ausbildung soll für die medienspezifischen Übersetzungsprozesse sensibilisieren und auf diese Weise auch herausfinden, welche Bereiche nicht übersetzbar sind, sozusagen also genuine Bereiche des Mediums darstellen. In den nicht übersetzbaren und nicht kopierbaren Gesichtspunkten liegt die genuine Originalität und Materialität des Mediums. Man müßte die spezifische Medialität des Mediums aufspüren, den Ort wo das Medium ganz es selbst ist und wo es zutage tritt: nämlich in der Störung. Man müßte daher konsequent eine Philosophie der Störung und des Mißverstehens entwickeln. Erst in der Störung wird die mediale Gebundenheit neuer Medien sichtbar. Kabel, die nicht funktionieren, sowie Software, die hängt und abstürzt Thematisierung von Authentizität, Codes von Glaubwürdigkeit und Autorschaft (Untersuchung von Fake-Produktionen).

2.4 Bezüge zu vorlaufenden und/oder vergleichbaren Vorhaben
Es gibt bereits umfangreiche Vorstudien und Lehrversuche auf diesem Gebiet von seiten des Antragstellers. Von November 1995 bis Januar 1996 erfolgte beispielsweise am Kunsthistorischen Institut der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg der Aufbau einer Homepage mit umfangreichen Informationen zum Studiengang Kunstgeschichte und zur Kunstgeschichte im Internet. Teile der historischen Seiten liegen heute unter http://www.hgb-leipzig.de/artnine/archiv/ARTNINE.html.
Im Laufe des Jahres 1997 wurde als nächster Schritt eine studentische Arbeitsgruppe zum Aufbau und zum Betrieb eines eigenen Servers auf LINUX-Basis ins Leben gerufen, die bis heute noch existiert. Im Oktober 1997 wurde dann ein eigener Internet-Server am Kunsthistorischen Institut der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg unter der URL http://tizian.khi.uni-heidelberg.de/ installiert.

Im Sommersemester 1997 habe ich eine erste Online- Vorlesung, mit begleitendem Seminar und praktischen Übungen in der technischen Handhabung und visuellen Gestaltung im WWW mit ausserordentlich grossem Erfolg durchgeführt. Die Skripte der damaligen Vorlesung und des Seminars befinden sich heute unter: http://www.hgb-leipzig.de/ARTNINE/lehre/bbb/index.html bzw. http://www.hgb-leipzig.de/ARTNINE/lehre/sem/index.html und geben einen ganz guten Eindruck von den damaligen Lehransätzen.
Aus diesen Lehraktivitäten resultierten sodann drei selbständige Magisterarbeiten (von Ann-Katrin Schlote über Pioniere der Telekommunikationskunst, von Kerstin Albers über die Präsentation des Louvre auf CD-Rom, von Thorsten Scheerer über Vilem Flusser und den digitalen Code) sowie eine Dissertation von Christine Hauschel über Kunstgeschichte im Internet, die noch von mir betreut wird.

 

3. Vorstellungen zur regionalen Umsetzung und zur überregionalen Übertragung von Ergebnissen

In der zweiten Phase des Projektes (3. und 4. Jahr) soll eine enge Nachbetreuung der Kunsterzieher vor Ort erfolgen. Außerdem ist angedacht, gezielte, zeitintensive Fortbildungskurse für interessierte Kunsterzieher in den Ferienzeiten oder Wochenenden zu einzurichten. Dazu sollen möglichst bereits zu Beginn des Projektes die an den Schulen tätigen Kunsterzieher Baden-Württembergs über die Oberschulämter angeschrieben werden und eine Umfrage nach den Bedürfnissen einer solchen Fortbildung durchgeführt werden.

 

4. Angaben zur wissenschaftlichen Begleitung
Es ist geplant, von Anfang an des Projektes parallel detaillierte Untersuchungen zum vorhandenen Vorwissen, den geeigneten fachdiaktischen Ansätzen und Methoden des Forschungsprojektes sowie wissenschaftlich-theoretische Begleitforschungen durchzuführen und zu publizieren. Themenfelder bzw. Gebiete dieser wissenschaftlichen Begleitforschung stellen u.a. der Begriff der visuellen Kompetenz, der konkret-anschaulichen Sinnlichkeit von Netzwerken, der Kommunikations- und Organisationstheorie im Zusammenhang elektronischer Netzwerke, der systemischen Theorie des Internets sowie die Erarbeitung paradigmatischer fachdidaktischer und kunstpädagogischer Arbeitansätze und Modelle dar. Die spezifisch inhaltliche Konkretisierung dieser Fragestellungen soll Bestandteil des Forschungsprojektes sein und sich konkret innerhalb der Lehr- und Lernsituationen des Projektes entwickeln. Sie kann deshalb an dieser Stelle noch nicht als Ergebnis vorweggenommen werden.
Die Forschungsergebnisse sollen, damit sie besonders schnell öffentlich zugänglich sind, zunächst in ihrer jeweils ersten Fassung im Internet publizert werden und dann in einer Printfassung (Sammelband).


Hans Dieter Huber