1. Inhaltliche Beschreibung und Beitrag
des Vorhabens zum Programm
1.1 Bezeichnung des Vorhabens
Visuelle Kompetenz an der Schnittstelle Gestaltung - Informatik Kommunikation. Anmerkungen zu einer offenen, flexiblen, zukunfts- und arbeitsmarktorientierten Weiterbildungssituation von Künstlern, Kunsterziehern und Kunsthistorikern
1.2 Kurzbeschreibung des Vorhabens
Das Projekt ist insgesamt auf vier
Jahre angelegt. Es trägt einen spezifisch innovativen
und experimentellen Charakter. Aus Gründen der Wissenschaftlichkeit
und der Ökonomie der Mittel soll zunächst mit Studenten
der Fachrichtung Kunsterziehung begonnen werden, die in der
zweiten Hälfte ihres Studiums stehen, also im 6. 8.
Semester. Sie sollen in verschiedenen Kursformen eine Einführung
in Geschichte, Funktion und Technik der verschiedenen Netzdienste
erhalten (1. Sem.) Im 2.+3. Semester sollen sie, entweder in gemeinsamer
Projektarbeit oder/und in Einzelarbeit selbst künstlerische
Projekte für das Netz entwickeln. Parallel dazu sollen
sie lernen, Kommunikationskonzepte zu entwickeln, logistische
Planungsabläufe zu erstellen sowie ihre Arbeiten praktisch
im Netz oder mit dem Netz zu realisieren. In einer Abschlußphase
(4. Semester) soll eine kritisch-theoretische Reflexion des
Netzes und der Neuen Medien erfolgen, gemäß den
von Karl-Josef Pazzini in seinem Gutachten aufgestellten Grundforderungen
(alte mit neuen Medien zu vergleichen, kritisch zu sensibilisieren)
sowie wissenschaftlich-kritische Texte zu der Problematik verfasst
und publiziert werden (Herausgabe von zwei Sammelbänden)
In der zweiten Phase des Projektes (3. 4. Jahr) sollen die
in den ersten beiden Jahren gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse
auf weitere Berufsgruppen ausgeweitet werden. Hierbei wird
vor allem an Kunsthistoriker und freie Künstler gedacht werden,
aber wieder in der prinzipiellen Zweiteilung von Nutzergruppen:
Studierende des 6.-8. Semesters kurz vor Abschluss ihres Studiums
und Berufstätige in Weiterbildungskursen während der
Semesterferien.
1.3 Beitrag des Vorhabens zum Programm
Der innovative Gehalt liegt in der horizontalen
Verschränkung und Vernetzung verschiedener Berufsgruppen,
Ausbildungsgänge und Altersstufen. Die Arbeit in diesem Modellprojekt
wird an einer der entscheidenden interdisziplinären Schnittstellen
zwischen visueller, künstlerischer Gestaltung, informatischen
Programmierkenntnissen und kommunikativen Schlüsselkompetenzen
gelehrt. Gerade im Online-Publishing- und E-Commerce-Bereich werden
in den nächsten fünf Jahren Tausende von qualifizierten
Arbeitsplätzen benötigt. Schon jetzt zeichnet sich ein
außerordentlich großer Mangel an entsprechend ausgebildeten
und qualifizierten Personen ab. Um so dringlicher erscheint es,
daß die Ausbildungsinstitutionen auf diese immer größer
werdende Lücke zwischen einer stark angestiegenen Nachfrage
von seiten der Wirtschaft und Unternehmen eingehen.
Bei positivem Verlauf dieses Modellprojektes wird daran gedacht,
dieses als ein gültiges Fort- und Weiterbildungsmodell im
Sinne eines inter- und transdisziplinären Weiterbildungsmodelles
weiter auf Zeit zu etablieren.
Das neue baden-württembergische Kunsthochschulgesetz, das
am 1.1.2000 in Kraft getreten ist, fordert in § 27 Weiterbildung
u.a. folgendes: "Die Kunsthochschulen sollen Möglichkeiten
der künstlerischen und wissenschaftlichen Weiterbildung entwickeln
und anbieten. Sie sollen dabei auch Modelle entwickeln, wie durch
Weiterbildung das Studium bis zum ersten berufsqualifizierenden
Abschluss entlastet werden kann."
Auch in dieser Hinsicht kommt dem hier vorgeschlagenen Projekt
eine wichtige Schlüsselstellung als Modellversuch für
die Zukunft zu.
2. Ziel und Begründung des Vorhabens
2.1 Problemlage und Lösungsansatz
Kunsthochschulen sind bis heute nur
unzureichend auf die Herausforderungen der Neuen Medien gerüstet,
sei es aufgrund fehlender technischer Ausstattung, sei
es aufgrund der mangelnden Ausbildung der Lehrenden selbst,
sei es aufgrund der traditionellen Ausbildungsstrukturen.
Auf den sich immer deutlicher abzeichnenden Wandel unserer Gesellschaft
und ihrer kulturellen Wert hin zu einer Informations- und Mediengesellschaft
reagieren künstlerische Ausbildungsformen erst sehr spät.
Medienkompetenz, im Speziellen die kommunikative, informatische
und gestalterische Kompetenz in der Handhabung von Netzwerken,
Datenbanken und medialen Aufbereitungsformen von Wissen und Information
ist heute zu einer entscheidenden Schlüsselkompetenz im Wettbewerb
um zukunftsträchtige - und das heißt sichere- Arbeitsplätze
geworden: Zitat Hubert Burda: "Die Situation hat sich
gegenüber früher grundlegend verändert. ... Das
Unternehmen kämpft ... um die besten Talente am Arbeitsmarkt.
Wenn man von zehn Kandidaten zwei für sich gewinnt, kann
man froh sein. Das wertvollste Potential sind heute eben gute
Mitarbeiter."
Vor allem die Jugend, die die Zukunft unserer Gesellschaft
bildet, muss möglichst gut und möglichst schnell
auf diesen fundamentalen Wandel durch eine geeignete Ausbildung
vorbereitet werden.
2.2 Geplante Arbeitsschritte und erwartete
Ergebnisse
.Hier setzt das Projekt an. Zunächst sollen in einer
ersten Phase (1 Jahr) angehende Kunstpädagogen eine Zusatzausbildung
in der visuellen Medienkompetenz erhalten, um sie dann selbst
in einem zweiten Schritt in der Schule, in der sie später
lehren werden, weitergeben zu können. Denn angehende Kunstpädagogen
sind hervorragende Multiplikatoren, da sie ihr Wissen sehr
schnell wiederum an viele junge Menschen in der Schule weitergeben
können. Hierbei werden auch curriculare und didaktische Modellsituationen
zu entwickeln sein, wie man als Kunsterzieher im Schulalltag mit
Kindern und Jugendlichen in den neuen Netzwerktechnologien arbeiten
könnte (z.B. digitale Schülerzeitung, Zusammenarbeit
von Deutsch- und Englischlehrern in der Korrektur und Übersetzung
der Texte ins Englische)
Zunächst ist geplant, mit Studierenden der Kunsterziehung
zu beginnen, die sich bereits in einem höheren Semester befinden,
da sie wichtigem Multiplikatoren für die Zukunft darstellen.
Sie erhalten eine praktische Einführung in die Aufstellung,
Installation und den Betrieb von Netzwerken in den Betriebssystemen
Windows und Macintosh, sowie eine Ausbildung an der Schnittstelle
Visuelle Gestaltung im WWW, Einführung in Programmiertechniken
sowie eine kommunikations- und organisationstheoretische Schulung.
Im Zentrum stehen die persönliche Kompetenz in der Handhabung
von Netzwerktechniken, die didaktische Hinführung und Anleitung
zur Erarbeitung netzwerkspezifischer Gestaltungsformen im Kunstunterricht,
sowie die kritisch-theoretische Reflexion des Verhältnisses
alter zu neuer Medien. An dieser Stelle soll noch einmal deutlich
gemacht werden, daß sich das Forschungsprojekt nicht auf
eine unkritische praktisch-technische Nachqualifizierung von Kunsterziehern
beschränken soll, sondern daß es sich vielmehr eng
an den Fragestellungen des Pazzini-Gutachtens orientieren soll
und die dort aufgeworfenen und diskutierten Fragen und Probleme
auch einer grundsätzlicheren Klärung näherbringen
sollen.
Die Fragestellung nach den dafür benötigten Schlüsselkompetenzen
soll von Anfang an integraler Bestandteil der Fragestellung des
Forschungsprojektes sein. Bereits jetzt lassen sich in diesem
Planungsstadium folgende Bereiche von Kompetenzen, deren Erwerb
angestrebt werden soll, als zentral herauskristallisieren: 1.)
Teamfähigkeit, kommunikativ-argumentative Kompetenzen und
Techniken, visuelles, sinnlich-anschauliches Urteilsvermögen,
2.) praktische Kompetenzen im kommunikativen -und technischen(!)-
Handling von Netzwerken und Netzwerkstrukturen 3.) theoretisch-begriffliches
Reflexionsvermögen in gesellschaftlicher, sozialer und politischer
Hinsicht über Chancen, Risiken und Gefahren der neuen Netzwerke,
4.) grundlegende Programmierfähigkeiten in den für Netzwerke
nötigen Programmiersprachen (also Perl, Java, Javascript)
2.3 Begleitende Untersuchungsaspekte/Fragestellungen
Die wissenschaftliche Begleitforschung
soll von Anfang an parallel in Form von Umfragen und Evaluationen
der Lehre durchgeführt werden. Daneben ist eine vertiefende
theoretische Forschung angestrebt, welche die Erfahrungen im Projekt
auf eine allgemein lehrbare Grundlagenforschung im Kunstbereich
zurückführt. Sämtliche Lehransätze, Modelle,
Kurse und Materialien sollen parallel zur Entstehung und Entwicklung
des Forschungsprojektes auf einer Website publiziert und der interessierten
Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellt werden. Auf
diese Weise ist jederzeit ein kommunikativer Austausch mit anderen
Projekten, die an der selben Fragestellung arbeiten, sowie eine
Überprüfung der Forschungsergebnisse möglich.
Eine Verzahnung zwischen theoretisch-reflexiver Kompetenz und
konkret-anschaulicher Erfahrung wird angestrebt. Ich denke dabei
an eine Theorie der Produktion, Distribution, Rezeption sowie
Einführung in Allgemeine Systemtheorie und Radikalen Konstruktivismus
sowie an die Erarbeitung einer neuen Lern- und Lehrkultur.
Das Forschungsprojekt soll für Übersetzungsprozesse
sensibilisieren, kritisches Forschen, Experimentieren und Produzieren
soll gelehrt werden. (Vgl. hierzu vom Antragsteller: Kommunikation
in Abwesenheit. Zur Mediengeschichte der künstlerischen Bildmedien.
)
Hierzu wird eine kritische Auseinandersetzung mit den Metaphern
des Computers notwendig sein. Ästhetische Arbeitsprojekte
sollen ergänzt werden durch ein genaues Verständnis
der Natur als Gegenpol des Technischen; hierzu ist vor allem die
Zusammenarbeit mit Prof. Marianne Eigenheer angestrebt. Es geht
um die Ermöglichung körperlicher Erfahrungen und um
die Ausbildung einer genauen Wahrnehmung. Rückwirkungen der
Neuen Medien auf Curricula und Praxis ästhetischer Bilder
sind zu untersuchen, ökonomische Zwänge, Kosten für
Medien und deren Finanzierung: Fernsehen, Telefon, Internet, Computer,
Auto, Schallplatten, Bahn, Flüge. Das Ziel ist die Ausbildung
einer erweiterten ästhetischen Urteilskraft. Die Ausbildung
soll für die medienspezifischen Übersetzungsprozesse
sensibilisieren und auf diese Weise auch herausfinden, welche
Bereiche nicht übersetzbar sind, sozusagen also genuine Bereiche
des Mediums darstellen. In den nicht übersetzbaren und nicht
kopierbaren Gesichtspunkten liegt die genuine Originalität
und Materialität des Mediums. Man müßte die spezifische
Medialität des Mediums aufspüren, den Ort wo das Medium
ganz es selbst ist und wo es zutage tritt: nämlich in der
Störung. Man müßte daher konsequent eine Philosophie
der Störung und des Mißverstehens entwickeln. Erst
in der Störung wird die mediale Gebundenheit neuer Medien
sichtbar. Kabel, die nicht funktionieren, sowie Software, die
hängt und abstürzt Thematisierung von Authentizität,
Codes von Glaubwürdigkeit und Autorschaft (Untersuchung von
Fake-Produktionen).
2.4 Bezüge zu vorlaufenden und/oder
vergleichbaren Vorhaben
Es gibt bereits umfangreiche Vorstudien und Lehrversuche auf diesem
Gebiet von seiten des Antragstellers. Von November
1995 bis Januar 1996 erfolgte beispielsweise am Kunsthistorischen
Institut der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg der Aufbau
einer Homepage mit umfangreichen Informationen zum Studiengang
Kunstgeschichte und zur Kunstgeschichte im Internet. Teile der
historischen Seiten liegen heute unter http://www.hgb-leipzig.de/artnine/archiv/ARTNINE.html.
Im Laufe des Jahres 1997 wurde als nächster Schritt eine
studentische Arbeitsgruppe zum Aufbau und zum Betrieb eines eigenen
Servers auf LINUX-Basis ins Leben gerufen, die bis heute noch
existiert. Im Oktober 1997 wurde dann ein eigener Internet-Server
am Kunsthistorischen Institut der Ruprecht-Karls-Universität
Heidelberg unter der URL http://tizian.khi.uni-heidelberg.de/
installiert.
Im Sommersemester 1997 habe ich eine
erste Online- Vorlesung, mit begleitendem Seminar und praktischen
Übungen in der technischen Handhabung und visuellen Gestaltung
im WWW mit ausserordentlich grossem Erfolg durchgeführt.
Die Skripte der damaligen Vorlesung und des Seminars befinden
sich heute unter: http://www.hgb-leipzig.de/ARTNINE/lehre/bbb/index.html
bzw. http://www.hgb-leipzig.de/ARTNINE/lehre/sem/index.html
und geben einen ganz guten Eindruck von den damaligen Lehransätzen.
Aus diesen Lehraktivitäten resultierten sodann drei selbständige
Magisterarbeiten (von Ann-Katrin Schlote über Pioniere der
Telekommunikationskunst, von Kerstin Albers über die Präsentation
des Louvre auf CD-Rom, von Thorsten Scheerer über Vilem Flusser
und den digitalen Code) sowie eine Dissertation von Christine
Hauschel über Kunstgeschichte im Internet, die noch von mir
betreut wird.
3. Vorstellungen zur regionalen Umsetzung und zur überregionalen Übertragung von Ergebnissen
In der zweiten Phase des Projektes (3. und 4. Jahr) soll eine enge Nachbetreuung der Kunsterzieher vor Ort erfolgen. Außerdem ist angedacht, gezielte, zeitintensive Fortbildungskurse für interessierte Kunsterzieher in den Ferienzeiten oder Wochenenden zu einzurichten. Dazu sollen möglichst bereits zu Beginn des Projektes die an den Schulen tätigen Kunsterzieher Baden-Württembergs über die Oberschulämter angeschrieben werden und eine Umfrage nach den Bedürfnissen einer solchen Fortbildung durchgeführt werden.
4. Angaben zur wissenschaftlichen
Begleitung
Es ist geplant, von Anfang an
des Projektes parallel detaillierte Untersuchungen zum vorhandenen
Vorwissen, den geeigneten fachdiaktischen Ansätzen und Methoden
des Forschungsprojektes sowie wissenschaftlich-theoretische Begleitforschungen
durchzuführen und zu publizieren. Themenfelder bzw. Gebiete
dieser wissenschaftlichen Begleitforschung stellen u.a. der Begriff
der visuellen Kompetenz, der konkret-anschaulichen Sinnlichkeit
von Netzwerken, der Kommunikations- und Organisationstheorie im
Zusammenhang elektronischer Netzwerke, der systemischen Theorie
des Internets sowie die Erarbeitung paradigmatischer fachdidaktischer
und kunstpädagogischer Arbeitansätze und Modelle dar.
Die spezifisch inhaltliche Konkretisierung dieser Fragestellungen
soll Bestandteil des Forschungsprojektes sein und sich konkret
innerhalb der Lehr- und Lernsituationen des Projektes entwickeln.
Sie kann deshalb an dieser Stelle noch nicht als Ergebnis vorweggenommen
werden.
Die Forschungsergebnisse sollen, damit sie besonders schnell öffentlich
zugänglich sind, zunächst in ihrer jeweils ersten Fassung
im Internet publizert werden und dann in einer Printfassung (Sammelband).