Kommunikative Kompetenz im Medienzeitalter


First Installation: 10.9.2000 Last update: 18.9.2000


Solange wir aber nicht wissen, wie wir Forschung organisieren sollen, müssen wir Forschung über Forschung machen, und solange wir nicht wissen, was wir lernen sollen, können wir auch keine Ausbildungslehrpläne entwickeln, d.h. müssen wir erstmals über das Lernen etwas lernen.

Heinz v. Foerster, Wissen und Gewissen, S.293

 

Vor Hunderten von Jahren waren Künstler Handwerker. Sie waren in Zünften organisiert. Nach einer 7-jährien Lehrzeit konnten sie vor ihrer Zunft die Gesellenprüfung ablegen und bei einem Meister in der Werkstatt arbeiten. Nach ein paar Jahren konnten sie dann ihre Meisterprüfung ablegen und selbst eine Werkstatt in der Stadt eröffnen. Zu Ende des 16. und im 17. Jahrhunderten weichte allmählich die Zunftbindung der Künstler mehr und mehr auf. Akademien entstanden, die Künstler in einer anderen Struktur, nämlich dem Gruppenunterricht, ausbildeten.

Bis zur Reformation in Deutschland waren Kirche, Adel und das reiche Bürgertum die Hauptauftraggeber für Kunst. Nach der Reformation und speziell nach dem 30-jährigen Krieg fiel die Kirche in den protestantischen Regionen als Auftraggeber von Bildern weitgehend aus.

Mit dem Niedergang des Adels und der Fürstenhäuser spätestens nach der Französischen Revolution fiel auch diese gesellschaftliche Schicht als Auftraggeber der Künstler nach und nach aus. Das finanzkräftige Bürgertum blieb als einzige gesellschaftliche Instanz erhalten.

Die Selbstrepräsentation der bürgerlichen Gesellschaft durch Bilder fand ebenfalls ihr Ende mit dem Niedergang der bürgerlichen Gesellschaft im 19. Jahrhundert durch die beginnende Industrialisierung und Kapitalisierung der Gesellschaft. Der Künstler war nun frei geworden von seinen Auftraggebern,. Diese Freiheit war jedoch ein Fluch, wie Sartre sagt, denn sie überantwortete dem Künstler die gesamte Verantwortung für seine eigene Existenz. Auf einem freien Markt definierte sich sein Status nun durch den Preis, den er für seine Bilder aufgrund des Zusammentreffens der Preisbildungsfaktoren von Angebot und Nachfrage auf dem freien Markt erzielen konnte. Es war jedoch kein wirklich freier Markt ,der entstand, sondern ein eingeschränktes Oligopol von hoher Intransparenz, bei dem wenige Anbieter vielen Nachfragern gegenüberstanden.

Mit der Entstehung des modernen Kunstmarktes im Sinne von Kunsthändlern, Galerien, Museen, Kunstvereinen und Kritikern Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich eine institutionelle Struktur, in der sich der Künstler fortan bewegen mußte. Es entstand allmählich das Kunstsystem in seiner heutigen Form. Der Nationalstaat oder die Länder als Auftraggeber traten an Stelle der alten Auftraggeber Kirche, Adel und Bürgertum.

Spätestens mit dem Beginn der klassischen Moderne entstand aufgrund des Überangebotes an Kunstwerken ein scharfer Konkurrenzkampf unter den Künstlern um die wenigen Ausstellungsinstitutionen, Sammler und Auftraggeber, die die moderne Gesellschaft bereithielt. Der Markt fungierte als Selektionsmedium, das die größte Zahl der Künstler von der Teilhabe am Kunstsystem ausschloß und nur wenige einschloß.

Der zunehmende Funktionsverlust der bildenden Kunst im 20. Jahrhundert führte zu einer tiefen Sinn- und Identitätskrise der Kunst. Sie äußerte sich zunächst in verschiedenen Theorien der "Autonomie" und "Freiheit" der Kunst. Die Kunst versuchte, durch verschiedene Ansätze und Projekte ihrem Sinnverlust zu begegnen. Der Versuch von Walter Gropius, den Künstlern durch Teilhabe am Gesamtkunstwerk des architektonischen Baus wieder eine gesellschaftliche Aufgabe zu geben, war jedoch von Anfang an der Kritik der autonomen und "freien" Künstler ausgesetzt, die statt Marktanpassung die Bildung einer freien und individuellen Persönlichkeit forderten. Es folgten insbesondere nach dem zweiten Weltkrieg verschiedene Modelle der Künstlerfinanzierung und der sozialstaatlichen Unterstützung in Form von Stipendien und Künstlersozialversicherung, die jedoch nur bedingt funktionieren. In den 60er und 90er Jahren begegnete man dem Phänomen der Artist Spaces und der Off Spaces, in den Künstler selbst das Problem des hochselektiven Zuganges zum Kunstsystem durch die Etablierung eigener Institutionen begegnen wollte. Hier wiederholt sich jedoch dieselbe Struktur von Inklusion und Exklusion im ästhetischen Feld. Die Kultur der Off Spaces spielt gegenwärtig seit Mitte der 90er Jahre wieder eine größere Rolle, die vielleicht mit den stärker gewordenen Machtkonzentration und negativen Selektion des Kunstmarkts zu tun haben könnten.

An der Schwelle zum neuen Jahrtausend befindet die Kunst wiederum oder immer noch in einer gesellschaftlichen Situation, in der völlig unklar ist, was ihre gesellschaftliche Funktion sein könnte, außer vielleicht dem Allgemeinplatz von Freizeitkultur, Erlebnisgesellschaft und Sinnproduktion.

Unsere Gesellschaft unterliegt im Moment einem atemberaubenden gesellschaftlichen Wandel. Klassische Berufsbilder lösen sich auf, neue Berufsbilder entstehen durch die Globalisierung der Kapitalströme, der Fusion multinationaler Konzerne und durch die exponentielle Ausbreitung des Internets in den 90er Jahren.

Die Frage, welchen gesellschaftlichen Beitrag Künstler in dieser Situation leisten können, muß neu gestellt werden und es müssen neue Antworten gegeben werden. Es stellt sich die Frage nach der spezifischen Kompetenz von Künstlern in dieser globalisierten Informationsgesellschaft.

Ihre gesellschaftliche Rolle könnte in einer Art Ressource liegen von Kreativität, Abweichung, Irritation und Innovation und die Entdeckung und Erfindung von Möglichkeiten, die gangbar sind, aber bisher so nicht gesehen und erkannt wurden. Was leistet sich unsere Gesellschaft, wenn sie sich Künstler leistet? Eine Art kreatives Gen-Reservior zur Einspeisung neuer, abweichender, irritierender Möglichkeiten in die Gesellschaft. Künstler irritieren und es kommt dann darauf an, wie die Gesellschaft mit dieser Irritation umgeht. Der primäre Effekt von Irritation ist erhöhte Aufmerksamkeit. Dann erfolgt entweder eine interne Verarbeitung der Irritation oder externe Zurechnung als Störung, die unter Umständen wieder vorbeigeht.

In dieser Situation, wenn sie denn richtig beschrieben ist, geht es darum, die kommunikative Kompetenz zur Irritation und zur Störung zu entwickeln, zu schulen, auszubauen und wieder in Form von Kommunikation in das System einzuspeisen. Dazu muß man sich eines Mediums bedienen. Um möglichst breit zu distribuieren, sind Massenmedien die geeignetsten Irritationsmedien, also Fernsehen, Printmedien, Internet.

Was heißt es, die kommunikative Kompetenz zu erhöhen? Es heißt die Wirkungsmechanismen von Kommunikationsprozeßen und die damit verbundenen Folgen für Wahrnehmung, Verstehen und Handeln zu begreifen und sie als tools, als Werkzeuge, in den netzbasierten Kommunikationssystemen einzusetzen.


Hans Dieter Huber