Hans Dieter Huber
ada 'web, New York

(erschienen in: kritische berichte, Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften, Sonderheft Netzkunst, Jg. 26, 1998, Heft 1, S. 4-6)

Ada 'web wurde im Frühherbst 1994 in New York von John Borthwick und Benjamin Weil gegründet. Borthwick war ein Wirtschaftsberater, der das Web im Sommer 1994 entdeckt hatte und unmittelbar etwas Kreatives damit anfangen wollte. Benjamin Weil kam dagegen aus der Kunstszene. Er war Schriftsteller und Kurator. Nach eigenen Aussagen stellte das World Wide Web für ihn einen neuen Ort dar, an dem man neue Experimente in der Praxis des Kuratierens machen konnte. Auch unter diesem Gesichtspunkt, der Geschichte der Ausstellung, ist ada 'web als frühe Inkunabel einer neuen Form kuratorischen Arbeitens von großer Bedeutung.

Der Name geht auf Ada Byron (1815-1852), die Tochter des Dichters Lord Byron, zurück. Sie wurde von Mary Somerville, einer bemerkenswerten Frau, die die Werke des französischen Mathematikers Pierre Simon de LaPlace ins Englische übersetzte, ermutigt, Mathematik zu studieren und Mathematik und Technologie in einen geeigneten humanen Kontext zu stellen. 1834 wurde Ada Byron mit den Ideen von Charles Babbage zu einer neuen Rechenmaschine bekannt. In zahlreichen Briefen mit Babbage suggerierte sie die Möglichkeit, daß eine solche Maschine komplexe Musik komponieren, Graphiken produzieren und sowohl für praktische wie wissenschaftliche Zwecke gebraucht werden könnte.(1) Ada schlug Babbage einen Plan vor, wie seine Rechenmaschine Bernoulli-Zahlen kalkulieren könnte. Dieser Plan Ada Byrons wird heute allgemein als das erste Computerprogramm der Geschichte bezeichnet. Von daher ist es natürlich von einiger Signifikanz, daß sich eines der ersten Kontextsysteme(2 ) für Kunst im WWW nach dieser weiblichen Vorläuferin und Pionierin der Computergeschichte benannt hat.

Die ersten online-Projekte des New Yorker Servers, der Trailer zu Julia Schers 'securityland' und 'The amorphous body study center' von Charles Long und Stereolab, gingen Ende Februar 1995 ans Netz, obwohl die Site erst am 15. Mai 1995 offiziell aufs Netz gelegt wurde. Ada 'web hatte es sich zur Aufgabe gemacht, für Künstler, Architekten, Komponisten und Filmemacher ein Kontextsystem für Internetprojekte zur Verfügung zu stellen. Die Ursprungsidee war, Künstler dazu zu bringen, das Netz als ein neues Medium zu erforschen. Ada 'web gibt hauptsächlich Projekte an Künstler in Auftrag, die das Web nicht als ihr Primärmedium, sondern in erster Linie für ihre künstlerische Recherche und Produktion benutzen.

Momentan arbeiten drei Personen als producer bei ada 'web, nämlich Vivan Selbo, seit Sommer 1995, Künstlerin und auch mit einem eigenen Webprojekt "vertical blanking interval"(3) bei ada 'web vertreten; Ainatte Inbal, bei ada seit Juli 1996, Kunstkritikerin, die sich mit Formen des long distance teaching und mitvirtual classroom projects beschäftigt hat; sowie seit Sept. 1996 Cherise Fong, Webdesignerin, die vorher bei CICV, einem französischen Artist-in-Residence-Programm arbeitete.(4) Hinzukommt seit September 1995 Andrea Scott für business development. Sie arbeitete hauptsächlich als Kunstberaterin und Kuratorin und beriet private und öffentliche Personen im Aufbau von Kunstsammlungen.

Finanziert wird ada 'web vom derzeitigen Besitzer, Digital City Inc.(5), der auch Total New York und The Spanker produziert, zwei New Yorker Stadt-Magazine.(6) Der Server selbst steht im ada 'web-Büro an der 22nd Street in New York.(7) Es handelt sich um eine Sun Spark 20, die an einer T1 Verbindung angeschlossen ist.

Abb. 1: Büro von ada'web

 

ada 'web besteht aus fünf verschiedenen Primärebenen: project, influx, context, exchange und nota. Unter project: watching or lurking? findet man folgende Netzkunstarbeiten: Jenny Holzer: Please Change Beliefs, Julia Scher: Welcome to Securityland, David Bartels: Arrangements, Lawrence Weiner: Homeport, Vivian Selbo: Vertical Blanking Interval und Doug Aitken/Dean Kuipers: Loaded 5x.

Abb. 2. ada'web projects

 

Die Ebene influx - an evolving journey stellt eine Wortschöpfung aus influence und fluxus dar. Sie weist einerseits auf benachbarte Projekte hin sowie auf Arbeiten, die sowohl online als auch offline funktionieren können. Hier findet man big magazine, Antonio Muntadas' documenta-Arbeit On Translation, Joshua Decters Screen, die Arbeiten und den AIDS Bildschirmschoner von general idea, Toland Grinnells Projekt Captain´s Lair , die gesammelten Netzkunstarbeiten von GroupZ, Belgien wie Home, Virgin/Sucker, Love, I Confess, ferner Charles Long's The Amorphous Body Study Center, Ben Kinmont's We both belong, Antoine Moreau's On se comprend, Keith Tyson's The Replicators, Matthew Ritchie's The Hard Way, Julia Scher'swonderland products und die wichtige Netzkunstarbeit von John Simon jr.: Alter Stats.

Die Ebene context besteht aus drei Unterebenen: associations, events und investigate. Diese Kategorie kennzeichnet wahrscheinlich das intellektuelle Umfeld der ada 'web-Leute. Associations enthält Hinweise auf weitere Webarbeiten von Maciej Wisniewski, Jodi, auf die Sandra Gering Gallery, ein Projekt von Laura Trippi Drawing oN Air (dn/a), sowie zwei Online-Magazine Purple Prose (Magazin ,1992 in Paris gegründet) und Permanent Food (ein Meta-Magazin aus Magazin-Seiten). Events umfaßt Seiten zu Symposien und Diskussionszusammenhängen wie Strange Days (Organisation und Moderation: Joshua Decter; Livepanel School of Visual Arts, 26.3.1996; mit Texten von Joshua Decter, Cari Pitman, David A. Ross, Peter Schjeldahl und Benjamin Weil) sowie Technology in the '90s (eine Diskussionsreihe von MoMA, ada'web und Rhizome Internet; mit Texten von Barbara London, Ken Feingold, Diller+Scofidio, Natalie Jeremijenko, Sawad Brooks, Jane Veeder, Julia Scher+Benjamin Weil, Jim Campbell, Simon Penny. Artists enthält Informationen zu den assoziierten Künstlern und Galerien. Es gibt zur Zeit Informationen über Doug Aitken, David Bartel,

Dominique Gonzalez-Foerster, Toland Grinnell, Jenny Holzer, Ben Kinmont, Charles Long, Antonio Muntadas, Matthew Ritchie, Julia Scher, Vivian Selbo, Keith Tyson und Lawrence Weiner. Allerdings ändern sich die Einträge der Künstler auch im Laufe der Zeit. Manche fallen heraus, dafür kommen andere hinzu. Die assoziierten Galerien sind ebenfalls unter dieser Rubrik zu finden wie Andrea Rosen, Sandra Gering, Robert Prime, Schipper &Krome, Stefano Basilico, Tanya Bonakdar; 303, New York.

Hinzukommen Extrasites wie nota, in der die Geschichte von Lady Byron erzählt wird, usage mit Search-, Survey-, Reach- und Consultfunktionen, Sponsoren sowie den drei verschiedenen Interfaces, die ada 'web im Laufe der Zeit benutzt hat, um die User auf die richtigen Seiten zu leiten.

Mit ada'web liegt wohl das älteste und gleichzeitig qualitativ beste Kontextsystem für künstlerische Projekte im WWW vor. Das zeigt einmal die Auswahl der Künstler, zum anderen die intelligente, technisch sehr gekonnte Realisierung der spezifischen Möglichkeiten des WWW sowie das innovative Potential seiner Mitarbeiter.

 

Anmerkungen:

1 Vgl. Betty Alexandra Toole: Ada, The Enchantress of Numbers: Prophet of the Computer Age. Mill Valley, CA: Strawberry Press 1998

2 Der Begriff des Kontextsystems wurde von Joachim Blank geprägt: Siehe sein What is netart ;-), unter http://www.hgb-leipzig.de/theorie/netlag.htm

3 http://www.adaweb.com/context/selbo

4 http://www.cicv.fr

5 http://www.dci-studio.com

6 http://www.totalny.com; http://www.spanker.com

7 Ein Live-Cam-Foto des ada 'web-Büros findet sich auf der Website von Julia Scher: http://www.adaweb.com/project/secure/onehouse/oh13.html



 

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