Hans Dieter Huber
Benedetto Caliari

First upload: 11.9.1996 last update: 25.6.2002

(erschienen in: Saur Allgemeines Künstlerlexikon: Die Künstler aller Zeiten und Völker, Leipzig: Saur Verlag 1997, Bd. 15, S.578-579) (mit freundlicher Genehmigung des K.G. Saur Verlag GmbH Leipzig)


Caliari, Benedetto
, ital. Maler, Zeichner und Freskant. Zweitjüngster Bruder des ital. Malers, Zeichners und Freskanten Paolo Veronese; geb. ca. 1535/36 in Verona (Pignatti/Pedrocco, Dok. 2 u.6), gest. zwischen dem 24. und 27. Mai 1598 in Venedig . Seine künstlerische Tätigkeit erstreckte sich hauptsächlich auf die Mitarbeit in der Werkstatt seines Bruders Paolo. In seinem ersten Testament vom 11. Jan. 1591 spricht B. davon, daß er fast 40 Jahre lang mit seinem Bruder zusammengearbeitet habe. (Testamente bei Caliari) Das würde für einen Einstieg in die Werkstatt als Lehrling um etwa 1550/51 sprechen. (Venturi) Als fertiger Geselle könnte B. nach einer üblichen Lehrzeit von ca. 7 Jahren etwa ab dem Jahre 1555/56 bei seinem Bruder mitgearbeitet haben.Dies würde zeitlich mit der Niederlassung Paolos in Venedig korrespondieren, der am 15. Januar 1555 als Mieter im Hause von Vincenzo Zen in der Corte della Candela bei Sant' Apostolo nachweisbar ist (Pignatti/Pedrocco, Dok. 7). Am 13. August 1556 wird B. in Zusammenhang mit der Ausführung der Deckengemälde von San Sebastiano 1 Duk. Lohn ausbezahlt. (Pignatti/Pedrocco, Dok. 10). Er wird dabei bereits als 'pictor' bezeichnet, was auf eine gehobenere und eigenständigere Position innerhalb der Werkstatt schließen läßt. Welche Rolle kam B. in der Werkstatt zu? Ridolfi berichtet, daß er dem Bruder und dem Neffen besonders in den Architekturen zur Hand gegangen sei und ein sehr guter Fresken- und Ölmaler gewesen sei. Als Schlüsselwerke zum Verständnis des Freskostils B.s können die Fresken in der Villa Corner-Piacentini in Sant'Andrea oltre il Musone bei Castelfranco (nach 1564), die Fresken im Bischofspalast in Treviso (um 1575) und die Fresken der Villa Giusti-Giacomini in Magnadola di Cessalto bei Treviso (nach 1575) dienen. Sie zeigen die in den Quellen berichtete Vorliebe Benedettos für Architekturmalerei: Ornamentik, Kartuschen, Rahmungen, Balustraden, Nischenfiguren und monochrome chiaroscuri. Stets beobachtet man ein mangelhaftes Verständnis für die Gesamtwirkung einer Komposition. B. verliebt sich schnell in architektonische Details. Er setzt oft noch eine Kartusche, eine Rahmung oder eine Blumengirlande, so daß insgesamt das Gewicht der gemalten Architektur stark in den Vordergrund drängt. Figur, Thema und Landschaft geraten dagegen in den Hintergrund und zur Staffage oftmals exzessiver Quadraturmalerei. In den besten Fällen halten sich Architektur und Figurenkomposition die Waage. In der Figurenbehandlung lassen sich Härten in der Modellierung beobachten. Eine gewisse Mechanizität und Rigidität in den Faltenbildungen und eine rosse Steifheit der Körperhaltungen kennzeichnen die Figuren B.s. Die Figuren sind konventionell und statuarisch gemalt. Man erkennt seine Schwierigkeiten, Körperextremitäten und Hände, Arme und Beine in ein kohärentes, überzeugendes Gesamtverständnis der menschlichen Gesamtfigur und ihrer Körperhaltungen einzubinden. Die Gesichter B.s wirken zwar um Ausdrucksvielfalt bemüht, bleiben aber leblos, maskenhaft und schematisch. Diese Schwächen im Porträt zeigen sich auch in seinen zahlreichen Chiaroscuro-Zeichnungen. Dort wird die mangelnde Fähigkeit, lebendige, aussagekräftige Gesichter zu modellieren, durch eine schematische Tektonik der Feder und der Weisshöhung kaschiert, welche die Köpfe gipsern wirken läßt. Für die Ölmalerei bietet 'Das letzte Abendmahl mit Fußwaschung' einen guten Ausgangspunkt für die stilistische Bestimmung seiner Malweise. Eine flächige Anlage der Lokalfarbe und ein relativ breites, schematisches Aufsetzen von Licht- und Schattenbahnen läßt sich beobachten, wobei B. in der Regel immer zuviele Höhungen und Schatten setzt als umgekehrt. Vor allem aber fehlt der Farbgebung B.s die lichtdurchflutete Chromatik Paolos. Sie ist nicht mit dem lockeren und nervös vibrierenden Pinselstrich des Bruders erzeugt, sondern in dichten Lagen pastos zugestrichen. Den Bildern mangelt es häufig an tiefenräumlicher Illusion. Der Raum wirkt flach, dicht gestaffelt und kulissenhaft abgeplattet. Seine Hand läßt sich deshalb relativ zuverlässig aus dem Gros der Werkstattarbeiten herauslesen. B. war der wichtigste Gehilfe in der Werkstatt und blieb bis zu seinem Lebensende aufs engste mit dem Bruder Paolo und seinen Söhnen verbunden. Innerhalb der Werkstatt kam ihm die Rolle eines Vorarbeiters und eines Spezialisten für Architektur- und Hintergrundmalerei zu. Ob er jemals selbst auf eigene Rechnung gearbeitet hat, ist ungeklärt. Selbst wenn wir heute zahlreiche Gemälde und Freskenzyklen auf stilkritische Weise als eigenhändige Werke von B. C. bestimmen können, ist es unklar, ob diese Werke als Arbeiten als Paolo Veronese bestellt und geliefert wurden oder als Arbeiten von B. Ein Beispiel, in dem man die Gemälde auf stilkritischem Wege zwar der Hand B.s zugeschrieben hat, sie aber vertraglich als Werke Paulos bestellt und auch geliefert wurden, sind die beiden Altarbilder aus San Giovanni in Xenodochio in Cividale (Furlan). Zu seinem zeichnerischen Qeuvre ist zu bemerken, daß man ihn in den lavierten Pinselzeichnungen, von denen es eine Menge gibt, relativ zuverlässig erkennen kann. In der Federzeichnung ist es allerdings noch relativ schwierig, seine Handschrift zuverlässig zu erkennen. Ein erster Ansatzpunkt dafür könnte eine Federzeichnung zu einer 'Geburt der Jungfrau Maria' sein, die einen seitenverkehrten Entwurf für B.s 'Geburt der Jungfrau Maria' für die Scuola dei Mercanti in Venedig (1577) darstellt (Paris, Louvre). Besonders die linke Figur, welche mit der Hand den Vorhang zur Seite schiebt, ist quasi auf identische Weise seitenverkehrt in diesem Bild wiedergegeben. Damit wäre die Zeichnung in die Jahre um 1577 datierbar und könnte einen guten Ausgangspunkt für die Zuschreibung weiterer Federzeichnungen an B. bieten. Er scheint auch häufig ricordi nach fertigen Gemälden angefertigt zu haben.
Gemälde: BERGAMO, Accademia Carrara: Gartenszene in einer venezianischen Villa, CAEN, Musée des Beaux-Arts: Der Auszug aus Ägypten, CHIOGGIA, Dom: Papst Julius II. bestätigt den Gesandten aus Chioggia die Ernennung der Kapelle der Jungfrau von Sottomarina zur Kapitularkirche (1598), Cividale, San Giovanni in Xenodochio: Hl. Rochus (1584), FLORENZ, Palazzo Pitti: Jesus grüßt seine Mutter (aus S. Giacomo in Murano), LENDINARA, Santuario della Madonna: Auferstehung Christi (1581), LIVERPOOL, Walker Art Gallery: Die Auffindung des Moses, Magnadola di Cessalto b. Treviso: Fresken der Villa Giusti-Giacomini (um 1575), MURANO, S. Pietro: Die Hl. Agatha wird vom hl. Petrus im Kerker besucht (vor 1569), - Museo Vetrario: Die hl. Jungfrau erscheint Veronica Franca (aus S. Maria del Soccorso, Venedig, 1597; bezgl. der Zuschreibung siehe Aikema/Meijers), ROM, Palazzo Montecitorio: Die Hochzeit zu Kana (1579/80), ORIAGO, Villa Gradenigo (Fresken), SALERNO, Privatslg.: Geburt der Jungfrau Maria, Sant'Andrea oltre il Musone b. Castelfranco: Fresken d. Villa Corner-Piacentini (n.1564), ST. PETERSBURG, Eremitage: Hl. Familie m. Hl. Anna und Katharina, Hl.Famile, Porträt e. Edelmannes, Christus in Emmaus, STANFORD, Slg. Duke of Exeter: Christus mit der Mutter des Zebedäus, Hl. Jakob, Hl. Augustinus (aus S. Giacomo in Murano), STRA, Fiesso d'Artico: Villa Soranza (Fresken), TORCELLO, Museo: Szenen aus dem Leben d. Hl. Christina, Treviso, Vescovado: Fresken der Sala Grande (um 1575), - Museo Civico: Allegorie, Page mit Trinkbecher, Page m.Mandoline (Freskenreste aus der Villa da Mula, Romanziol, um 1580), TURIN, Galleria Sabauda: Die Auffindung des Moses (vor 1584), Die Königin von Saba, VENEDIG, Accademia: Christus vor Pilatus (aus San Niccoló della Lattuga), -Cà Farsetti: Geburt der Jungfrau Maria (dat. 1577), -San Polo: Die Vermählung der Jungfrau Maria (vor 1581), -SS. Apostoli: Mannaregen (um 1588), -SS. Giovanni e Paolo, Capella Rosario: Letztes Abendmahl, -Palazzo Ducale, Sala del Maggior Consiglio: Papst Alexander III. und der Doge Ziani senden Diplomaten zu Kaiser Barbarossa, Treffen zw. Papst Alexander III. und Doge Sebastiano Ziani in Venedig (1588-90), VERSAILLES: Gastmahl im Hause des Simon
Zeichnungen: Amsterdam, Rijksmuseum: Mutius Scaevola, BAYONNE, Musée Bonnat: Hl. Papst zwischen zwei Heiligen, BERLIN, Kupferstichkabinett. Jungfrau m. Kind und Joh. dem Täufer, BESANCON, Musée: Anbetung der Könige, EDINBURGH, National Gallery of Scotland: Hl. Hieronymus, florenz, Uffizien: Weibl. Rückenfigur, -Privatslg.: Hl. Hieronymus in der Wildnis (Abb. Rearick, 88, fig.30), LILLE, Musée Wicar: Christus erscheint der Jungfrau Maria, LONDON, Sotheby's, 28.Juni 1979,lot 72: Studien zur Hl. Martha und Judas, LOS ANGELES, County Museum: Rebecca am Brunnen, MAILAND, Ambrosiana: Jungfrau m. Kind und zwei Heiligen, Hl. Papst mit zwei Heiligen, OXFORD, Christ Church: Hl. Dorothea, MONACO, Christie's, 2.Juli 1993: Geburt der Jungfrau Maria, Jungfrau und Kind von Seraphinen und Engeln getragen, Philosoph in seinem Studio: Archimedes?, PARIS, Louvre: Allegorie des Reichtums (Inv. R.F. 41.299), Allegorie des Meeresglücks (Inv. R.F. 41.300), Allegorie der Fortuna Terrestre (Inv. R.F. 41.301), Studie e. Geburt Mariens (Inv. R.F. 39.033), Venus und Mars vor Jupiter (Inv. 4719), Venus verführt Mars (Inv. 4706), Weibl. Figur in Rüstung mit Schild (Inv. 10409), Maria m. Heiligen (Inv. R.F. 4248), Anbetung der Weisen (Inv. 4663), PRINCETON, University Art Museum: Sitzende junge Frau (Inv. 53-70), ROTTERDAM, Museum Boysmans-van Beuningen: Zwei weibliche Satyrn über einer Türöffnung (Inv. I-47), Ruhe auf der Flucht nach Ägypten (Inv. I-408), Allegorie der Wachsamkeit (Inv. I-514), STOCKHOLM, Nationalmuseum: Judith am Bett von Holofernes (Inv. NM 1447/1863), Jungfrau Maria und Hl. Elisabeth (Inv. NM 1454/1863),
Literatur: DBI, 16, 700; Caliari, Pietro: Paolo Veronese. Sua vita e sue opere. Studi storico-estetici. Roma 1888, 178-186; Venturi.IX, 4, 1929, 1087-1098; Liberali, Giuseppe: Per la rivendicazione di una grande tela di Paolo Veronese. In: Atti dell' Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti, Bd. 99, parte II: Cl. di Scienze morali e lettere, 1939/40, 21 - 32; Feinblatt, Ebria: A Drawing by Paolo Veronese. In: Los Angeles County Museum of Art Bulletin, Vol. 14, no. 1, 1962, 11 - 21; Ballarin, Alessandro: Quadri veneziani inediti nel musei di Varsavia e di Praga. In: Paragone. Arte. Vol. XX, 1969, no. 229, 52 - 68; Crosato Larcher, Luciana: Note su Benedetto Caliari. In: Arte Veneta, Vol. XXIII, 1969, 115-130; Simoni, Pino: Opere di pittori veronesi nelle chiese di Chioggia. In: Vita Veronese, Anno XXX, 1977, no. 3 - 4, 72 - 83; Fomiciova, Tamara: Opere di allievi del Veronese nella collezione dell'Ermitage, nuove attribuzioni. In: Arte Veneta, Vol.XXXIII, 1979, 131 - 136; Pallucchini, Rodolfo: La pittura veneziana del Seicento. Milano 1981, 21; Franzoi, Umberto: Storia e Leggenda del Palazzo Ducale di Venezia. Prefazione di Terisio Pignatti. Venezia 1982, 250-251; Cuozzo, Assunta: Una inedita 'Natività della Vergine' di Benedetto Caliari, Arte Veneta, Vol. XXXIX, 1985, 145-146; Rearick, William Roger: The Art of Paolo Veronese . Ausst.Kat. National Gallery of Art, Washington 1988, Aikema, B. / Meijers, D.: Nel regno dei poveri. Arte e storia dei grandi ospedali veneziani in età moderna 1474 - 1797 . Venezia 1989, 243, 245; Furlan, Caterina: Presenza e riflessi di Veronese in Friuli. In: Gemin, Massimo (Hrsg.): Nuovi Studi su Paolo Veronese. Venezia 1990, 77 - 87; Barbieri, Franco: Quattro dipinti veneti in collezioni private: dal Cinquecento al Settecento, Ricerche di Storia dell'Arte, n.49, 1993, 93-100; Pignatti, Terisio/Pedrocco, Filippo: Veronese. Bd.1+2. Milano 1995; Hans Dieter Huber: Paolo Veronese. Kunst als soziales System, Kap.3 (in Vorb.)


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