Hans Dieter Huber 
"Life Is A Cut-Up".
Schnittstellen der Intermedialität


First Installation 23.11.99: Last Update: 18.12.2004


erschienen in: Kunibert Bering/ Werner Scheel (Hg.): Ästhetische Räume. Facetten der Gegenwartskunst Oberhausen: Athena-Verlag 2000, S.90-103

I

Zwischen Kunst im klassischen Sinne und Kultur im populären Sinne besteht ein besonderes Verhältnis der Einschließung bzw. der Ausgrenzung. Denn nicht jedes Kulturereignis ist gleichzeitig ein Kunstereignis. Umgekehrt aber bildet jedes Kunstwerk und jedes Kunst-Ereignis automatisch einen Bestandteil des kulturellen Systems unserer Gesellschaft. Zwischen dem kulturellen Gesamtsystem und dem Teilsystem der Kunst bestehen infolgedessen zahlreiche und komplexe Austauschmöglichkeiten. Es ist hier nicht der Ort, die historische Geschichte von Intermedialität nachzuzeichnen, wie man diese Austauschleistungen zwischen den Medien der Kultur und der Kunst bezeichnet. Vielmehr soll anhand einer spezifischen Kulturtechnik, nämlich dem Cut-Up, eine solche intermediale Austauschleistung näher untersucht werden, um ein differenzierteres Verständnis für die Formen des Wandels und Austausches zwischen Kunst und Kultur in unserer heutigen Gesellschaft zu entwickeln.

II

Eine der wichtigsten literarischen Methoden, das kulturelle Archiv der Sprache intermedial zu nutzen, ist das sogenannte CUT UP. Diese literarische Technik wurde Ende der 50er Jahre in Paris von dem amerikanischen Maler Brion Gysin und seinem Freund, dem Schriftsteller William Burroughs entwickelt.


Im Jahre 1958 zog Burroughs, nachdem er sich mit Hilfe einer Apomorphin-Kur von seiner Drogenabhängigkeit befreit hatte, von Tanger nach Paris und ließ sich in dem legendären Beat Hotel in der Rue Git-le-Coeur 9 nieder. Er brachte einen Koffer voller Manuskripte mit, aus denen nicht nur der Roman Naked Lunch zusammengestellt wurde. Auch The Ticked That Exploded, The Soft Machine und Nova Express wurden in den nächsten Jahren aus einem Konvolut von etwa 1000 Einzelseiten unter der Mithilfe von Jack Kerouac zusammengestellt und kompiliert.

Das Cut-Up ist im Prinzip eine Übertragung der Montagetechnik, die in der Malerei des synthetischen Kubismus bei Pablo Picasso, bei Max Ernst, Kurt Schwitters oder auch vom späten Paul Klee entwickelt wurde, auf den Prozeß des Schreibens. Ich zeige als Vergleiche eine Collage von Kurt Schwitters MZ 439, 1922 und eine Seite aus einem Cut-Up Scrapbook vom 18. Februar 1952 von William Burroughs. Bereits vorhandene Textangebote werden nach bestimmten Regeln zerrissen, zerschnitten oder gefaltet und die dabei entstehenden Textkombinationen neu erfasst.

Es geht im Cut-Up um die Frage des Kommunizierens des Schriftstellers mit seinem Medium und um das physische Greifbarmachen der Materialität der Sprache. Im Cut-Up bedient sich der Schriftsteller der schon existierenden Sprache als eines kulturellen Archivs, das er in seine Einzelteile zerlegt, um sie als Grundelemente zur Konstruktion neuer Hyper-Texte zu benutzen. Die Sprache und nicht die Natur ist das Rohmaterial, an dem der Dichter ansetzt und aus dem er seine Formen konstruiert. Mit der Cut-Up-Methode wird das literarische Schreiben ein selbstreferentieller Prozeß. Texte entstehen nur noch aus Texten und aus nichts anderem mehr.

Aber der Dichter kann aus der Sprache nicht ausbrechen. Es gibt keinen Ausweg aus dem Gefängnis der Worte, sondern nur den langsamen Umbau. Wie der Philosoph Josef Mitterer gezeigt hat, kann das Zeichensystem der Sprache nur auf andere Zeichen im selben System referieren. Aber niemals kann sich Literatur auf eine unabhängig von jeglicher Beschreibung beschreibbare Welt oder Wirklichkeit beziehen.

Statt von Realität spricht Burroughs daher konsequenterweise lieber vom REALITY STUDIO, in dem der Film der Wirklichkeit in endlosen Schleifen heruntergespult wird. Die Möglichkeit des Schriftstellers besteht darin, in dieses REALITY STUDIO einzudringen, am Drehbuch herumzuschnipseln oder dem Film einen neuen Schnitt zu verpassen.

III

Zahlreiche Beat-Autoren wie William S. Burroughs, Allen Ginsburg oder Rolf-Dieter Brinkmann experimentierten daher auch mit dem Tonband, der Fotografie oder dem Film.

Dies bedeutet im Prinzip eine fundamentale Kritik an der Sprache als dem wichtigsten gesellschaftlichen Medium von Wirklichkeitskonstruktion. Sprache war für sie ein Gefängnis der Worte, ein Kontrollinstrument der Gesellschaft, das zerstört werden mußte, um den Virus aus dem Wirtsorganismus zu befreien. Die Kultur fungierte in ihrer Sicht als das entscheidende Dispositiv, das die Unterdrückung von Lust und Freiheit des Menschen im Namen von Sitte und Anstand bewerkstelligte. So hatte Sigmund Freud ihre Funktion in seinem berühmten Aufsatz "Über das Unbehagen in der Kultur" beschrieben. Die Sprache ist aufgrund ihrer massiven kulturellen Kontrollfunktion als ein Medium literarischer Produktion nicht mehr geeignet. Sie ist letztendlich durch die Machtverhältnisse korrumpiert. Die Neuen Medien wie Tonband, Film, Video oder Computer stellten dagegen in den 60er Jahren eine noch unbelastetere Möglichkeit dar, die Befreiung des Individuums aus den Fesseln der Gesellschaft in Angriff zu nehmen. Sie waren noch nicht durch kulturelle Normen und Traditionen belastet, wie die Sprache als Hauptmedium der Disziplinierung und Unterdrückung des Subjekts. Schlagwörter wie "Film als Waffe" oder der Begriff der Gegenkultur stellten wichtige Themen des kulturellen Diskurses der 60er Jahre und 70er Jahre dar.

IV

Burroughs selbst und andere experimentierten mit dem Ineinanderschneiden verschiedener Soundtracks und der Beschleunigung des Schnittes bis an die Grenzen der Unterscheidungsfähigkeit des kognitiven Systems.

Im Medium Film hatte sich die Cut-Up-Methode vor allem in den sog. Non-Camera Filmen etabliert, die mit bereits vorgefundenem Filmmaterial arbeiteten. Einer der frühesten Filme der Nachkriegszeit, der ohne jegliche Dreharbeiten entstanden ist und nur vorgefundenes Material (found footage) verwendete, ist der wenig bekanntgewordene Film der italienischen Künstler Gianfranco Baruchello und Alberto Grifi mit dem Titel La verifica incerta aus dem Jahr 1964.

 

Er wurde aus einer riesigen Menge (etwa 150.000 m) zur Vernichtung bestimmter amerikanischer Spielfilme der Jahre 1950-1960 zusammengeschnitten. Hier wurde auf ein bestehendes, aber von der Vernichtung bedrohtes kulturelles Archiv von Filmsequenzen zurückgegriffen, welche bereits eine eigene erzählerische Logik enthielten. Das 35mm-Filmmaterial wurde nach einer ersten Selektion durch Baruchello und Grifi auf 16mm umkopiert, wobei die horizontal gestauchten Cinemascope-Bilder mit ihrem Originalton beibehalten wurden. Der Eingriff des Cut-Up in das REALITY STUDIO des Hollywoodfilms erzeugt einen Breakthrough into the Grey Room des kognitiven Systems, das durch die neue Montage visuellen und auditiven Irritationen ausgesetzt wird.

Bei einer sehr schnllen Schnittfolge von Bildern benötigt das kognitive System etwa 80-100 Millisekunden Verarbeitungszeit, um aus der neuronalen Reizung eine kognitive Synthese zu bilden. Wenn innerhalb dieser Zeit ein zweiter Reiz dargeboten wird, beeinflußt er die Konstruktion des ersten. Man nennt dieses Phänomen in der Wahrnehmungspsychologie retroaktive Maskierung. In der kognitiven Synthese des Beobachters entsteht also eine Form, die weder eine vollständige Konstruktion des ersten noch des zweiten Reizes ist, sondern ein emergentes Phänomen, das nicht aus der Summe der beiden Einzelreize erklärt werden kann. Die Technologie des Films macht sich diese Zeitspanne von 80 Millisekunden, die das kognitive System zur Verarbeitung benötigt, zunutze. Denn bei einer Projektionsgeschwindigkeit von 24 Bildern in der Sekunde ist jedes Bild nur in einer Dauer von 20 Millisekunden zu sehen. Die kognitive Konstruktion aus diesen kontinuierlichen Perturbationen ist keine einfache Summenaddition, sondern sie entsteht in einem Prozeß der Selbstorganisation sensorischer Aktivitäten des Gehirns.

Viele Experimentalfilmemacher haben sich dieses Phänomen zunutze gemacht, um durch schnelle, hintereinandergeschaltete Einzelbildprojektionen neuronale Aktivitäten im Gehirn des Beobachters hervorzurufen, die ein rein mentales Produkt sind und in keinster Weise auch nur in irgendeiner Form auf der Filmschicht selbst existieren. In seinem 1968 entstandenen Film T,O,U,C,H,I,N,G hat der amerikanische Experimentalfilmer Paul Sharits dieses Prinzip der Einzelbildmontage verwendet, um sowohl virtuelle Farben als auch Scheinbewegungen im kognitiven System des Beobachters zu erzeugen.

 

Die Tonspur ist durch eine Schleife endlos geschlossen, so daß sich das Wort Destroy ständig wiederholt. In der monotonen Repetition dieses Wortes entstehen autonome, auditive Konstruktionen im Gehirn.

Wie ein direkter Kommentar oder eine intermediale Transformation ins Medium Video mutet das 15 Jahre später entstandene CHARMANT-BAND des deutschen Videokünstlers Klaus vom Bruch aus dem Jahre 1983 an . Er verwendet für den Schnitt dieselbe Cut-Up-Methode wie Sharits mit dem einzigen Unterschied, daß in die Endlossequenz eines abstürzenden Flugzeugs in jedes 12. Standbild das Porträt des Künstlers einkopiert ist. Die Endlosschleife der Tonspur operiert im Prinzip mit demselben kognitiven Mechanismus wie im Film von Paul Sharits.

Statt DESTROY lautet die Stimme CHARMANT, statt Film sehen wir Video. Was Paul Sharits noch auf mechanischem Wege, also durch mühseliges Montieren und Kleben, herstellen mußte, ist hier bereits auf rein elektronischem Wege kompiliert worden.

V

Während der Beschleunigung der Bilder beim Film und beim Video technologische Obergrenzen gesetzt sind, ist im Bereich der Audioakustik oder der Audioelektronik im Prinzip eine fast unendlich schnelle Beschleunigung des Mediums möglich, so daß man statt von einer Flicker-Perturbation von einem permanenten Feedback sprechen kann. Das Feedback kann als ein rekursives Prozessieren des Mediums beschrieben werden. Es beschleunigt den Rückkopplungszyklus derart, daß das System als Durchlauferhitzer wirkt und die Materialität des Mediums nach außen stülpt. Im rosa Rauschen, in der stehenden Rückkopplung oder im weißblauen Glühen des Monitors wird das Medium selbst zur Form im Hypermedium.

Mit der Erfindung des Videosystems entstand das erste Mal in der Geschichte der Bildmedien die Möglichkeit, Aufnahme und Wiedergabe zeitlich so zu beschleunigen, daß sie fast gleichzeitig stattfinden. Man bezeichnet diese Möglichkeit des Videos als Closed Circuit. Wenn man den Kreislauf zwischen Aufnahme und Wiedergabe, also zwischen Kamera und Bildschirm schließt, erhält man ein visuelles Feedback. Die Formen und Farben des Feedbackzyklus hängen von der technologischen Struktur des Aufnahmesystems, der dazwischengeschalteten Elektronik und des Wiedergabesystems ab. Formen, Farben und Kreislaufzyklen lassen sich durch verschiedene Variablen wie Brennweite, Blende und verschiedene Filter am Farbgeber fast beliebig ändern.

Durch das geschlossene, selbstreferentielle Operieren des Feedbackzyklus erzeugt sich das Bild vollständig aus sich selbst heraus. Es entsteht ein sich selbst organisierendes, geschlossenes System autonomer Farben, Formen und Bewegungen, die sich im Closed Circuit ständig re-produzieren. Form reproduziert sich aus Form, Farbe aus Farbe und Bewegung aus Bewegung.

Die Möglichkeit der Gleichzeitigkeit begünstigte den Ausbau des Mediums Video zu einem interaktiven System. Eine der frühesten Arbeiten, in der die interaktiven Übertragungsmöglichkeiten des Fernsehens künstlerisch genutzt wurden, stellt das Happening Hello von Allan Kaprow aus dem Jahre 1969 dar, welches im Rahmen des Fernsehprogramms The Medium Is The Medium ausgestrahlt wurde.

 

Die interaktiven Formen des Fernsehmediums, die auf der Möglichkeit des closed circuit beruhen, wurden in dieser Arbeit für eine künstlerische Installation genutzt. Mit Hilfe des lokalen Fernsehsenders WGBH in Boston wurden zwei Übertragungsterminals im öffentlichen Stadtraum installiert, sowie ein weiterer Terminal im Fernsehstudio des Senders. Die Bild- und Tonkanäle waren jedoch so miteinander verschaltet, daß manche Teilnehmer sich nur hören, aber nicht gleichzeitig sehen konnten. Andere dagegen konnten sich nur sehen, ohne sich gleichzeitig hören zu können. Dritte wiederum konnten nur gesehen und gehört werden, ohne selbst die Möglichkeit zur direkten Interaktion zu haben.

VI

Im Bereich der Audioelektronik nennt man das Prozessieren von Formen akustischer Medien Soundsampling. Analog oder digital abgespeicherte Soundsequenzen können beliebig ineinander gemischt, überblendet, rückwärts gespielt, gefiltert, wiederholt, beschleunigt oder verlangsamt werden.

Die früheste Musikkomposition, die vorfabrizierte, auf einem Tonband gespeicherte Soundsequenzen in einer Live-Aufführung benutzte, ist das Stück Deserts von Edgar Varese aus den Jahren 1949-54. Neben live gespielten Passagen enthält das Stück drei Brüche, in denen vorfabriziertes Tonmaterial vom Band abgespielt wird. Es ist unter dem unmittelbaren Eindruck des 2. Weltkriegs entstanden. Maschinengewehrgeräusche und Fliegersirenen wechseln mit schwer identifizierbaren, metallischen Schleifgeräuschen ab. Dazwischen gibt es in klassischer Orchesterbesetzung komponierte Passagen, die wie Reste einer heilen, aber nicht mehr möglichen, Welt der Musik anmuten. Das Stück stieß bei seiner Pariser Uraufführung 1954 beim Publikum auf Empörung und Unverständnis. Trotzdem setzte der Komponist damit einen Meilenstein in der Musikgeschichte. Es ist auch heute noch ein radikales, bedrückendes und beunruhigendes Musikstück. Deserts bildet den Höhepunkt einer langen Phase von Experimenten, in der sich Varèse mit multimedialen Projekten für Theater, Kino und Lichtprojektion beschäftigt hatte. Der totale Gegensatz von Bild- und Klangmedien war das entscheidende, gestalterische Element in seinem Werk. Ich zeige einen Ausschnitt aus einer Inszenierung des Ensemble Moderne unter der Leitung von Peter Eötvös unter der Regie des amerikanischen Videokünstlers Bill Viola aus dem Jahre 1994, der eine kontrapunktisch angelegte Videokomposition zu dem Musikstück erarbeitet hat.

Die New Yorker Performance- und Multimediakünstlerin Laurie Anderson ist in den siebziger Jahre mit einer präparierten Violine, einer sog. Tape Bow Violin, aufgetreten. Statt dem Roßhaarbezug des Geigenbogens hatte Anderson ein bespieltes Stück Tonband in den Bogen eingespannt. Auf dem Geigenkorpus war ein Tonabnehmer montiert, der an einen elektrischen Verstärker angeschlossen war. Laurie Anderson konnte nun das vorfabrizierte Tape vorwärts und rückwärts abspielen, unterschiedlich schnell und in verschiedenen Teilstücken auf den Tonkopf aufsetzen. Ich führe Ihnen ein kurzes Stück vor, mit dem programmatischen Titel

Ethics is the Aesthetics of the Few-ture (Lenin), 1976

Das digitale Soundsampling ist dem Cut-Up sehr ähnlich, da es nur auf analog vorstrukturierte, akustische Formen zurückgreifen kann. Nicholas Collins, ein Schüler des New Yorker Komponisten Alvin Lucier, benutzt die im Raum vorhandenen Radiowellen verschiedener Sender als Medium für seine live-elektronischen Performances. Er speichert Fragmente der während der Performance auftretenden Radiosendungen digital ab. Diese Samples können dann von ihm getriggert, gefiltert, in eine Endlosschlaufe eingegeben, rückwärts abgespielt oder in andere Tonlagen und Geschwindigkeiten transponiert werden. Collins spielt bestimmte musikalische Grundmuster, die bereits im Sampling System selbst gespeichert sind, um ein komplexes, rhythmisches Wechselspiel zwischen den einzelnen Sounds zu erreichen, die dann zusammen die Bestandteile der jeweiligen live-elektronischen Komposition bilden.

Von hier aus war der Schritt nicht mehr weit zur Techno- und Rave-Scene der 90er Jahre, die vor allem die digitalen Samplingmethoden konsequent zur Erzeugung schneller, rhythmischer Beats und Loops verwendete. Hier findet man erstaunlicherweise auch wieder eine enge Kooperation zwischen Literaten, Musikern und Künstlern. Ich zeige einen kurzen Ausschnitt aus der Mayday- Rave-Party in Dortmund 1994 mit dem DJ Carl Cox:

Wenn wir zur Anfangsthese zurückkommen und uns daran erinnern, daß die Kunst nur ein kleiner, aber gewichtiger Teilbereich des kulturellen Gesamtsystems unserer Gesellschaft ist, dann läßt sich gegenwärtig eine besonders starke Auflösung der traditionellen Systemgrenzen beobachten. Künstler wie Laurie Anderson oder Andrea Fraser arbeiten in typischen, als unkünstlerisch geltenden Kontexten, während Personen, die wir typischerweise nicht als Künstler bezeichnen würden, wie die Computerlinguistin Barbara Aselmeier von der Internationalen Stadt e.V., oder der habilitierte Verhaltensökologe Carsten Höller, in traditionellen Kunstinstitutionen wie z.B. der nächsten documenta präsentiert werden. Während sich die Grenzlinien zwischen High und Low, E und U, Kunst und Pop gegenwärtig verwischen und auflösen, ist es vor allem ein Künstler, der alle diese Scheinprobleme auf eine souveräne, lockere und spielerische Art und Weise zusammenmixt: nämlich Nam June Paik. Von Geburt Koreaner, ausgebildet in Deutschland in klassischer Komposition und europäischer Philosophie, zuhause im Schmelztiegel von New York, zeigt er immer wieder in seinen Arbeiten, wie das repressive Kontrollprogramm der Kultur und die Innovationen der Kunst dazu benutzt werden können, ein intermediales Amalgam zu schaffen, bei dem es letztlich keine Rolle mehr spielt, ob man es als Kunst oder als Unterhaltung bezeichnet.

 

Ich zeige einen Ausschnitt aus einer Live-Satelliten-Übertragung aus dem Jahre 1988, die von Paik anläßlich der Eröffnung der Olympischen Spiele in Seoul realisiert wurde. In dem hier gezeigten Ausschnitt tritt der New Yorker Tänzer und Choreograph Merce Cunningham zu den elektronischen Computerklängen des Komponisten David Tudor auf. Zeitgleich spielt Ryuichi Sakamoto in Tokyo das Stück Chisagu No Hanaya , in dem drei, in Kimonos gekleidete, Japanerinnen ein Volkslied auf einem traditionellen, japanischen Musikinstrument spielen. Es handelt sich um eine sog. Shanshin, ein banjo-artiges Saiteninstrument, dessen Resonanzfell aus einer Schlangenhaut besteht. Paik amalgamiert mit Hilfe der Satellitenübertragungstechnik und modernsten elektronischen Schnittverfahren beide Bild- und Tonkulturen auf eine so beeindruckende Weise, daß man sich sehr gut vorstellen kann, wie eine zukünftige Globalisierung und Intermedialisierung von Kunst und Kultur aussehen könnte.


 Hans Dieter Huber