Hans Dieter Huber.
"Stochern Sie einfach im Gerümpel herum, vielleicht finden Sie
da die Antwort"
(veröffentlicht in: Ausstellungskatalog Atelier und Künstler.
3. Kreis-Kulturwoche. Rhein-Neckar-Kreis, (1991), (o.S.) )
Switch: On und er spannte einen Bogen in die Maschine und schrieb. Erst
mal den inneren Bildschirm leerlaufen lassen, dachte er sich. Der Mensch
ist ein komplexes Repräsentationssystem, ein lebender Organismus aus
Ein- und Ausgabeorganen, dachte er sich, ein komplizierter Verarbeitungs-
oder Bypassfilter. Je, nachdem, wie man es sehen will. Das, was dabei letztendlich
herauskommt, erinnert eher an eine Art Körperausscheidung. Demzufolge
wäre der ganze Wort-, Bild-, und Geräuschmüll auf der Ebene
der Körperausscheidungen und in Zusammenhang damit zu betrachten. Ein
riesiger Walfisch schwimmt mit offenem Maul durchs Wasser und läßt
jeden Dreck in seine Barten gleiten, wo das ganze Zeug sogleich klassifiziert,
identifiziert, gespeichert, bewertet, verwertet und wieder ausgeschieden
wird. Hinten kommt dann der unverdaubare Rest raus. Nennt sich dann Sprache,
Kunst oder Musik, dieser Wort-, Bilder- und Geräuschmüll. Musik:
eine gasförmige Ausscheidung. Oh, wie gut das klingt. Der Walfisch,
hinten dran schwimmt, bekommt dann den Wort-, Bild- und Musikmüll des
Vordermannes zwischen seine Kiemen. Heißt dann Kultur oder Tradition
oder so. In den Körperausscheidungen der anderen herumstochern. Der
erfahrene Müllsucher weiß, wo er zu suchen hat. Was lernen wir
aus der Geschichte, fragte die Lehrerin mit dem straff gezurrten Knopf im
Haar und ihrer perlmuttbesetzten Brille in der lässig wippenden, rechten
Hand. Entweder als erster Walfisch vorne dran schwimmen oder ganz nebendran
im Abseits,meldete sich Ulrich. Falsch, sagte die Lehrerin mit ihrer durchtrainierten,
schneidenden Stimme, mit der sie sogar noch, durch ihre unangenehme Frequenz,
die Schlafmützen in der letzen Reihe aufweckte, die schon der Pause
entgegenträumten. Nebenbei war die Lehrerin noch Besitzerin eines großen,
aus dem Anfang des Jahrhunderts stammenden Mietshauses in der Stadt, wo
sie nach Schulschluß mit kleinen, schlecht getippten Briefchen ihre
Mieter terrorisierte. Aber das nur ganz am Rande. Der 27.6.87 und irgendwas
Unleserliches auf dem Tisch. Sollte wohl ein Name gewesen sein. Ein Jungvogel
zappelt im Netz. Wenn Ulrich hinsieht, zappelt er und guckt ihn hilfesuchend
an. Wenn Ulrich nicht hinguckt, rührt er sich nicht. Er ist vom Regen
völlig durchnässt. Einen Tag später ist er tot. Ulrich holt
das Netz vom Baum, wickelt den Vogel samt den abgefallenen Kirschen und
dem darunter befindlichen Blättermüll darin ein und wirft es vom
Balkon im vierten Stock auf die Erde hinunter, wo es krachend aufschlägt,
wie eine Leiche auf die Seite rollt und tot liegenbleibt. Was ist das eigentlich
für eine Show, in der ich bin; frägt sich Ulrich. Welche Melodie
wird hier gespielt?
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