Hans Dieter Huber
Welcome to Securityland.
Die Globalisierung von Kommunikation und Kultur im Internet (1)
(erschienen in: kritische berichte. Zeitschrift für
Kunst- und Kulturwissenschaften, Jg. 25, 1997, Heft 1 , S. 70-79)
I
Globalisierung
Es sieht heute so aus, als würden geographische Grenzen und Hindernisse
mehr und mehr schrumpfen und die Welt zu einem globalen Dorf (2) und einem
einheitlichen Schauplatz zusammenwachsen. Dies ist vor allem Verdienst der
Massenmedien. Denn was wir über die Welt wissen, so Niklas Luhmann
in seinem jüngsten Buch, wissen wir aus den Medien.(3) Im akademischen
Diskurs tauchte der Begriff der Globalisierung in der Mitte der 80er Jahre
auf.(4) Für Künstler wie Nam June Paik, John Cage oder Douglas
Davis spielten dagegen die von Marshall McLuhan entwickelten und verbreiteten
Thesen vom globalen Dorf der Massenmedien eine wichtige Rolle. Der Begriff
Globalisierung wird heute in vielen Bereichen der Ökonomie, der Politik,(5)
der Religion,(6) der Stadtplanung,(7) der Kunst,(8) dem Design,(9) der Soziologie
(10) und der Ethnologie in verschiedenen Facetten und Bedeutungsvarianten
verwendet. Seine Einführung in die akademische Wissenschaft verdankt
sich vor allem Roland Robertson, Anthony Giddens und David Harvey. Für
Robertson bezieht sich Globalisierung sowohl auf einen Prozeß der
Komprimierung der Welt und ihrer Raum-Zeit-Koordinaten als auch auf ein
gesteigertes Bewußtsein für die globale Einheit der Welt.(11)
Der englische Soziologe Anthony Giddens hat den Begriff dagegen im Sinne
einer "Entgrenzung des Raumes", der Distanzierung von Raum-Zeit-Beziehungen
auf der einen Seite und der chronischen Veränderbarkeit lokaler Umstände
und regionalen Engagements durch diese Entgrenzung maßgeblich geprägt.(12)
Für David Harvey dagegen besteht Globalisierung statt in einer Dehnung
sozialer Relationen vor allem in einer Komprimierung von Raum und Zeit,
in der Zeitabstände kürzer werden und damit Distanzen schrumpfen.
Die Verkürzung der Zeit löscht seiner Meinung nach den Raum aus.(13)
Harvey sieht diese Entwicklung in engem Zusammenhang mit Kapitalflüssen,
Transportgeschwindigkeiten und Kommunikationstechnologien.
II
Kommunikation
Im Internet wird Kommunikation globalisiert. Die elektronischen Informationsflüße
überschreiten nationale Grenzen, die raumzeitlichen Distanzen schrumpfen
und die sozialen Beziehungen intensivieren sich.(14) Ohne eine tatsächliche
Kommunikationssituation funktioniert das Internet nur als ein Archiv, auf
das der Kommunikationsprozeß zugreift.(15) Die lateinische Wurzel
des Wortes lautet communicare : Das heißt, teilhaben lassen, etwas
gemeinschaftlich machen. Gemeint ist etwas, das man mit anderen teilt und
zum Gegenstand einer Gemeinschaft macht.
Das Adjektiv communis bedeutet "gemeinsam dienstbereit, mitverpflichtet".
In diesen Begriffen steckt die Wurzel munia: Leistungen, Amtspflichten,
Berufsgeschäfte bzw. munus als 'Aufgabe, Pflicht, Leistung'.(16) Davon
wiederum stammt der Begriff immunis im Sinne von 'nicht dienstbereit, frei
von Leistungen, nichts beitragend'. Das Gegenteil von Kommunikation wäre
nach diesem Sprachmuster Immunität. Kommunikation müßte
dann analog als eine Art Immunschwäche verstanden werden. Wenn man
über die Auswirkungen elektronischer Medien auf Kommunikation und Kultur
spricht, muß man auch über Formen der Immunität oder Resistenz
gegen die Globalisierung von Kommunikation und Kunst nachdenken. Diese Resistenz
möchte ich als kulturellen Fundamentalismus bezeichnen.(17)
Am einfachstn läßt sich Kommunikation als ein Übertragunsmodell
zwischen Sender, Botschaft und Empfänger auffassen, der die codierte
Nachricht erst entschlüsseln muß, um sie verstehen zu können.
Dieses Modell, das aus der militärischen Nachrichtentechnik des 2.
Weltkrieges stammt, beherrscht auch heute noch die landläufige Vorstellung
von Kommunikation.(18) Dieser Begriff reicht aber nicht mehr aus, um die
Komplexität der kommunikativen Leistungen der postmodernen Gesellschaft
zu beschreiben, erst recht nicht, um die Kommunikationsstrukturen der elektronischen
Datennetze angemessen zu verstehen.
Im letzten Jahrzehnt hat sich in Zusammenspiel mit dem Radikalen Konstruktivismus
und der Theorie sozialer Systeme eine neue Kommunikationstheorie entwickelt.
Ihr Ausgangspunkt ist das Konzept operational geschlossener Systeme. Nur
die Kommunikation kann kommunizieren, nicht aber das Bewußtsein, das
Denken oder die Wahrnehmung.(19) Kommunikation wird als ein Orientierungsverhalten
verstanden, als ein Zusammenwirken von Information, Mitteilung und Verstehen.(20)
Aber erst der Vorgang des Verstehens generiert einen kognitiven Inhalt
im mentalen System eines Beobachters oder Benutzers. Er wird von der Form,
die in einem bestimmten Medium mitgeteilt wurde, zu kognitiver Aktivität
angeregt (21). Alle drei Selektionen zusammen können als eine Form
von Kommunikation aufgefasst werden. Im Zusammenhang von Information und
Mitteilung geht es vor allem um die Fragen des Mediums: der Speicherung
und der elektronischen Archivierung von Schrift, Bild und Ton. Im Kontext
des Verstehens solcher intermedialer Speicherformen geht es dagegen um Kommunikation.
Hier greifen die entscheidenden Mechanismen von Globalisierung bzw. Fundamentalismus.
Denn das Verstehen hängt sowohl von individuellen wie von sozialen
und kulturellen Bedingungen ab.
III
Globalisierung der Kommunikation
Information und Mitteilung, also spezifische Form/Medien-Kombinationen
aus Schrift, Bild und Ton, können ohne weiteres global bereit gestellt
werden. Aber es ist heute schwierig bis unmöglich, von einer Globalisierung
des Verstehens zu sprechen. Denn das Verstehen hängt von einzelnen
Individuen, ihren kognitiven Zuständen, ihrer Nationalität, ihren
Traditionen und ihrer spezifischen Kultur ab. Einer Globalisierung von Information
und Medium steht also der kulturelle "Fundamentalismus" des verstehenden
Individuums gegenüber. Während Form und Medium im Internet global
reproduziert, distribuiert und reproduziert werden können, hängt
das Verstehen des Inhalts von individuellen, milieuspezifischen, regionalen,
nationalen und kulturellen Umständen ab. Hier tritt also die Kultur
auf Seiten des urteilenden Subjekts ins Spiel. In dem Maße, in dem
der Zug zur Globalisierung wächst und es zu einer lateralen Ausdehnung
sozialer Beziehungen durch das Internet kommt, verstärkt sich auch
der Druck auf die Formen lokaler Autonomie und regionaler Identität.
(22)
In kulturtheoretischen Diskussionen der letzten Jahre wurde Kultur als
ein Modell für Verhalten beschrieben, das durch kognitive und kommunikative
Prozesse als eine Form kollektiven Wissens erzeugt wird. Kultur wird dort
als ein System kollektiver Sinnstrukturen aufgefasst, mit dem Menschen ihre
Wirklichkeit definieren. (23) Kultur sorgt dafür, daß das Wirklichkeitssystem
einer Gesellschaft sowie seine soziale Semantik auf Dauer gestellt und institutionalisiert
werden kann. Sie federt wechselseitige Kommunikationsrisiken ab, indem es
Strategien zur Regulierung und Kanalisierung von kognitiven Überkapazitäten
durch Sinnsysteme bereitstellt. Dabei werden zwei Aufgaben gelöst.
Auf der einen Seite wird die Reproduktion gesellschaftlich relevanter Problemlösungen
und Verfahrensweisen auf Dauer gestellt, also eine Tradition ausgebildet.
Auf der anderen Seite wird die Kontrolle des Individuums durch Sozialisation,
Macht, Sprache und verschiedene soziale Semantiken wie Kleiderordnungen
und Standards angemessenen Verhaltens gewährleistet.
V
Kultur als Kontroll- und Disziplinierungsapparat
Wenn Information und Mitteilung auf ein bestimmtes Individuum treffen,
das diese Medienform verstehen will, dann treffen sie zunächst auf
individuelle, soziale und kulturelle Voreinstellungen, Gewohnheiten, Vorurteile,
Traditionen, usw. Jede Kommunikation durchläuft also im Verstehensprozeß
einen kulturellen Filter, der die jeweilige Medienform bewertet, beurteilt
und kontrolliert. Dieser kulturelle Filter als ein Programm der Thematisierung,
Bewertung und Einschätzung von Kommunikation läßt sich auch
als regulative Idee (24) oder als binäre Codierung verstehen. (25)
Kultur konditioniert Kommunikation auf Ausmaße, die für das jeweilige
Individuum gerade noch verarbeitbar, verstehbar oder überschaubar sind.
Wenn sich Information und Mitteilung durch das Internet globalisieren
und die jeweilige Kultur als regionale, kulturelle Identität diese
Formen bewertet, thematisiert und kontrolliert, dann durchlaufen sämtliche
globalisierenden Mechanismen einen lokalen, kulturellen Filter. Wie kann
man sich solche kulturellen Filter vorstellen? Man kann sie als Entscheidungs-
und Bewertungsprogramme auffassen, als binäre Codierungen wie z.B.
gut/schlecht, brauchbar/unbrauchbar, neu/altmodisch, wichtig/unwichtig,
bekannt/unbekannt, etc. Sie beurteilen die global eintreffenden Formen des
Internets und selegieren die für das jeweilige Individuum und seine
Kultur relevanten Informationen.
Kultur konditioniert die Globalität von Information auf ein für
das jeweilige Individuum gerade noch vertretbare kognitive Maß. Soweit
gesehen, sind Globalisierung der Kommunikation und kultureller Fundamentalismus
zwei Seiten eines Systems von 'checks and balances', in denen der globale
information overload des Internets auf kognitiv vertretbare Kapazitäten
reduziert wird.
V
Die Globalisierung der Kultur
Eine ganz andere Frage stellt sich dagegen, wenn sich Kultur selbst,
also das lokal-regionale Programm der Bewertung und Beurteilung von Kommunikation,
globalisiert, vereinheitlicht, raumzeitlich ausdehnt oder homogenisiert.
Kommt es dann zwangsläufig zum Zusammenprall der kulturellen Fundamentalismen
(26) oder gar zu einem Krieg der Zivilisationen, wie Samuel Huntington prophezeit?
im Internet wiederholen sich das westliche Hegemonialismusstreben und der
Kolonialismus der angelsächsischen Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts
in der "westernization" der kulturellen Standards. Jedenfalls
kommt es zunächst zu einem direkten Zusammentreffen und Vergleich verschiedener
kultureller Programme, wie z. B. in Japan oder Taiwan, wo sich die Jugend
mehr und mehr westlich orientiert. (27) Es treten Auseinandersetzungen zwischen
verschiedenen kulturellen Praktiken der Bewertung und der Reproduktion von
Wirklichkeitsauffassungen auf. Die Frage ist dann, welche kulturelle Ideologie
die Überhand gewinnt. Im Moment beobachten wir einen kulturellen Hegemonialismus
der anglosächsischen Kultur. (28) Es geht also um die Alternative zwischen
pluralen Welten, die von gegenseitiger Toleranz gekennzeichnet sind oder
einem, dem Ideologem der Wahrheit unterliegenden, kulturellen Fundamentalismus.
Viele Anzeichen deuten heute darauf hin, daß die Pluralität von
Kulturen mehr und mehr durch einen, immer gewalttätiger werdenden,
kulturellen Fundamentalismus ersetzt wird (Bosnien, Algerien).
VII
Netiquettes und emoticons
Wenn ich auf die Eingangsfrage zurückkomme, wie sich eine zunehmende
Globalisierung elektronischer Medien auf Kunst, Kommunikation und Kultur
auswirkt, dann wissen wir jetzt, dass die jeweiligen kulturellen Programme
des Benutzers globalisierbare Kommunikation auf das gerade noch verstehbare
Ausmaß reduzieren, begrenzen und disziplinieren. Somit wäre alles
in Ordnung, könnte man sagen. Jeder versteht eben die Dinge auf seine
Weise. So einfach ist die Situation aber nicht. Denn im Internet ist mittlerweile
ein neuer, kultureller Disziplinierungs- und Kontrollapparat entstanden.
Er läßt sich vor allem in den sog. Netiquettes, elektronischen
Benimmregeln sowie in den emoticons, kleinen Ausdruckszeichen, die auf die
fehlenden, situativen Umstände der Kommunikationssituation hinweisen,
faßbar machen. Sie federn das Risiko, mißverstanden zu werden,
ab und geben Interpretationshinweise zum Verständnis. Meistens sind
diese Netiquettes aus Verhaltensweisen im Alltagsleben übernommen,
also einfache Adaptationen westlicher Kulturstandards:
RULE 2: ADHERE TO THE SAME STANDARDS OF BEHAVIOR ONLINE THAT YOU FOLLOW IN REAL LIFE. Standards of behavior may be different in some areas of cyberspace, but they are not lower than in real life. ... Don't believe anyone who says, "The only ethics out there are what you can get away with." ... But if you encounter an ethical dilemma in cyberspace, consult the code you follow in real life.(29)
Dazwischen gibt es aber besondere, für das reale Leben ungewöhnliche
ethische Regeln wie "TAKE ADVANTAGE OF YOUR ANONYMITY" oder "HELP
KEEP FLAME WARS UNDER CONTROL".
'Netiquettes' und 'emoticons' sind Programme zur Thematisierung, Bewertung
und normativen Einschätzung globalisierter Kommunikation durch e-mail,
Newsgroups und Diskussionslisten. Denn aufgrund der einkanaligen Kommunikation
fallen sämtliche Begleitumstände der Situation, also der Kontext
des Sprechens, wie Körperhaltung, Mimik, Gestik, Ausdruck oder Stimme,
etc. völlig aus. Dies kann Anlaß zu Missverständnissen und
Provokationen geben (sog. flame wars). E-mail-Kommunikation ist aus diesem
Grunde erhöhten Kommunikationsrisiken ausgesetzt. In den Netiquettes
stösst man auf ausgesprochen strenge Benehmensregeln für die Kommunikation
in elektronischen Netzen. Die Netiquettes stellen ein kulturelles System
von Regeln zur Disziplinierung der Netzbenutzer bereit. Jeder Netz-Neuling
unterwirft sich mehr oder weniger freiwillig an dieser Kultur des Netzes.
So heißt es z.B. im Handbuch für Diskussionslisten:
Things which are perfectly normal in one culture can be insulting in another. For instance, ad hominem attacks are perfectly acceptable in some countries. Conversely, referring to other people by their first name ("As Peter said in his last message, ...") can be downright insulting in some cultures, where anything short of the full title is at best condescending. But, of course, in other countries the use of the full title is considered sarcastic... There is no middle ground here, because there are too many conflicting cultures and too many languages. The only way to successful cross-cultural communication is through the tolerance of other people's cultural habits, in return for their tolerance of yours.(30)
VI
Welcome to Securityland
Sigmund Freud hat 1930 in der Schrift 'Das Unbehagen in der Kultur' die
repressive Kontroll- und Disziplinierungsfunktion der kulturellen Programme
beschrieben. (31) Das Lustprinzip und der Freiheitsimpuls des Individuums
werden durch Kultur unterdrückt. Sie nötigt dem Individuum einen
erheblichen Triebverzicht auf. Das Interessante an Freud ist die These,
dass Kunst aus dem Unbehagen an der Kultur entsteht. Aus den repressiven
Disziplinierungspraktiken kultureller Programme entstehen Kunst und Witz
als zeitweilige Aufhebung dieser Unterdrückung, als Sublimation des
Freiheitstriebes. (32)
Es ist nun außerordentlich interessant, zu sehen, wie Künstler
im Internet aus diesem Unbehagen an der Netzkultur Kunstwerke als eine Form
digitaler Triebsublimierung schaffen, in der der repressive Druck des Über-Ich
wenigstens für kurze Zeit gelockert werden kann und die Triebenergien
des Unbewußten durch Kunst ins Bewußtsein der Öffentlichkeit
eintreten können (Ernst Kris). (33)
Vielleicht ist es kein Zufall, daß es gerade zwei Künstlerinnen
sind, welche zur Zeit, in künstlerischer Hinsicht gesehen, die interessantesten
Homepages im Internet anbieten, nämlich die beiden amerikanischen Künstlerinnen
Julia Scher und Jenny Holzer. In ihrer Homepage "Welcome to Securityland"
(34) hat Julia Scher vier Abteilungen in einem fiktiven Gebäude untergebracht:
one house, konsent klinik, predictive engineering, the glossary. Die Seiten
arbeiten mit gezielten Mißverständnissen, fingierten Sicherheitsinstruktionen,
wiederholten Errormeldungen. In konsentklinik können die Benutzer des
Internets per e-mail Fragen an eine Art Pseudo-Elektronik-Internet-Psychoschwester
senden, welche darauf eine Antwort oder ein Rezept veröffentlicht.
Die Fragen und Antworten der Teilnehmer können wiederum von anderen
Telinehmern kommentiert und ergänzt werden. In den Fragen und Antworten
geht es um kulturelle Kontrolle und persönliche Praktiken im öffentlichen
Raum:
msg: picabia - Friday October 27,1995 4:31 PM: Did you know that making out in a cab is completely verboten? The inside of the taxi cab is public space! shoelace@chain.com
rply: j.terry - Saturday December 02,1995 4:57 Question: Since when was it illegal to make out in a space designated as public? terry.47@osu.edu
rply: julia - Monday December 11,1995 12:39 PM. You have made a wise decision to bring forth this question. However, bodily contact in public space is regulated state by state, country by country, and region to region. An interesting read on that issue comes up in Rule, J. et al "The Politics of Privacy," 1980. Intensity, proximity, duration and age of individuals involved would all be factors in the drivers response/non response to your private activity. ... cuff@adaweb.com (35)
Jenny Holzer hat eine Liste ihrer Truisms im Internet veröffentlicht,
die von den Benutzern aktiv verändert und in eine Liste mit dem Titel
"Submissions" wieder zurückgesendet werden können. (36)
So kann ihr bekanntester Spruch ABUSE OF POWER COMES AS NO SURPRISE beliebig
verändert werden. Auf diese Weise ergibt sich eine alphabetisch geordnete
Liste aller veränderten Sprüche, in denen die individuelle oder
kulturelle Variationbreite solcher Binsenweisheiten zu erkennen ist. Für
obiges Beispiel sehen die eingesandten Veränderungen folgendermaßen
aus:
ABUSE IS A SURPRISE
ABUSE OF ATTITUDE COMES AS NO SURPRISE
ABUSE OF CHILDREN IS ALL TOO HUMAN
ABUSE OF CHILDREN IS INHUMAN
ABUSE OF POWER (IN ALL ITS FORMS) IS THE ROOT OF ALL EVIL
ABUSE OF POWER COMES AS A BIG KICK IN THE BUTT
ABUSE OF POWER COMES AS A SURPRISE
ABUSE OF POWER COMES DAILY
ABUSE OF POWER COMES EVERY DAY IN SCIENCES
ABUSE OF POWER COMES WHEN MONEY IS MORE RESPECTED THAN INTEGRITY
ABUSE OF POWER IS COMPLETE NONSENSE
ABUSE OF POWER IS INEVITABLE
ABUSE OF POWER IS TAUTOLOGICAL
ABUSE OF POWER IS TO BE EXPECTED.
ABUSE OF POWER LEADS TO THE ABUSE OF PEOPLE (37)
In einer dritten Stufe kann man dann per Mausklick darüber abstimmen,
ob man der Meinung ist, dass diese Überzeugung zutrifft. Das statistische
Ergebnis wird dann ebenfalls eingespielt. Der Wahrheitswert der Binsenweisheit
ABUSE OF POWER COMES AS NO SURPRISE wird sehr hoch eingeschätzt (zweithöchstes
Rating von allen). (38)
Dies zeigt, dass Künstlerinnen und Künstler im Internet gerade
mit diesen kulturellen Kontroll- und Bewertungsprogrammen arbeiten, (39)
sie thematisieren und einer künstlerischen Transformation unterziehen,
mit dem Ergebnis, dass die kulturellen Codes selbst eine Veränderung
erfahren. Das Ganze wird wiederum in die Computernetze eingespeist und steht
weltweit zum exchange of believes zur Verfügung.
VII
Zusammenfassung
Durch die zunehmende Globalisierung von Information und Mitteilung im
Internet werden Raum und Zeit komprimiert und soziale Beziehungen über
grosse Distanzen gedehnt. Dieser Globalisierung steht ein regional begrenzter,
kultureller Fundamentalismus gegenüber, der die Komplexität solcher
Information auf die noch verstehbaren Ausmaße und Relevanzen der eigenen
Kultur reduziert. Wenn sich jedoch die kulturellen Kontrollprogramme in
Form von Netiquettes selbst globalisieren, entsteht eine neue Situation,
die mit den Stichworten Hegemonialismus und westernization beschrieben werden
kann. Die Kunst im Internet reagiert auf dieses Unbehagen mit einer kreativen
und anarchischen Einbindung der Benutzer. Vermeintlich objektive, kulturelle
Standards können unter dem Etikett "Kunst" durch die Interaktion
mit verschiedenen Indidivuen, Milieus, Schichten, Kulturen und Zivilisationen
auf globale und weitgehend demokratische Weise kommentiert und verändert
werden.
Fussnoten:
1 Dieser Aufsatz ist eine stark überarbeitete und erweiterte Fassung
von zwei Vorträgen, die am 18.4.1996 unter dem Titel "Connected
Minds. Die Globalisierung von Sprache, Kommunikation und Kultur im Internet"
im Rahmen des vom Heidelberger Club für Wirtschaft und Kultur veranstalteten
Symposiums "Globalisierung-der Schritt in ein neues Zeitalter"
und am 10.5.1996 im Rahmen des ComIt-Symposiums über wirtschaftliche,
rechtliche und gesellschaftliche Herausforderungen der Neuen Medien an der
Universität Mannheim gehalten wurden.
2 Der Begriff wurde bereits 1960 von Mc Luhan geprägt. Siehe Marshall
Mc Luhan/Quentin Fiore: Das Medium ist Massage. Frankfurt/M. [u.a.] 1969,
S.67: "Die neue elektronische Interdependenz formt die Welt zu einem
globalen Dorf um."
3 Niklas Luhmann: Die Realität der Massenmedien. Opladen 1996, S. 9
4 Malcom Waters: Globalization. London: Routledge 1995, S.2
5 Evans Luard: The globalization of politics: The changed focus of political
action in the modern world. New York 1990
6 Beyer, Peter: Religion and Globalization. London/Thousand Oaks, Calif.
1994
7 Peter Noller/Walter Prigge/Klaus Ronneberger (Hg.): Stadt-Welt. Über
die Globalisierung städtischer Milieus. Frankfurt/New York: Campus
1994
8 The World Over. Under Capricorn. Art in the Age of Globalisiation. Ausst.
Kat. City Gallery Wellington, Stedelijk Museum Amsterdam, Sommer 1996
9 Hugh Aldersey-Williams: World Design. Nationalism and Globalism in Design.
New York: Rizzoli 1992
10 Für eine Übersicht über das Thema verweise ich auf folgende
Titel: Mike Featherstone (Hg.): Global culture. Nationalism, Globalization
and Modernity. London:Sage 1990; Anthony D. King (Hg.): Culture, Globalization
and the World-System. Contemporary Conditions for the Representation of
Identity. London: Macmillan 1991; Roland Robertson: Globalization: Scial
Theory and Global Culture. London 1992; Emanuel Richter: Der Zerfall der
Welteinheit. Vernunft und Globalisierung in der Moderne. Frankfurt/New York:
Campus 1992; Scott Lash/John Urry: Economies of Signs and Space. London
1994; Waters, Malcolm: Globalization. London 1995; Nederveen Pieterse, Jan
P.: Globalization As Hybridization. The Hague 1993, Oman, Charles: Globalisation
and Regionalisation: The Challenge for Developing Countries. Paris: OECD
1994; Featherstone, Mike: Undoing culture: globalization, postmodernism
and identity. London/Thousand Oaks, Calif. 1995; Tony Spybey: Globalization
and the World Society. Cambridge: Polity Press 1996
11 Robertson, a.a.O., S.8
12 Anthony Giddens: Modernity and Self-Identity. Self and Society in the
Late Modern Age. Cambridge: Polity Press 1991, S. 71
13 David Harvey: The Condition of Postmodernity. An Enquiry into the Origins
of Cultural Change. Oxford: Blackwell 1989, S. 240f.
14 Vgl. Anthony Giddens: Konsequenzen der Moderne, Frankfurt/M. 1995, S.
85f., sowie Anthony Giddens: Beyond Left and Right. The Future of Radical
Politics, Oxford 1994, S.80f.; sowie Harvey, a.a.O., S.346-349
15 Assmann, Aleida/ Assmann, Jan: Das Gestern im Heute. Medien und soziales
Gedächtnis. in: Merten, Klaus/ Schmidt, Siegfried J./ Weischenberg,
Siegfried (Hrsg.): Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in
die Kommunikationswissenschaft . Opladen: Westdeutscher Verlag 1994, S.
114-140
16 siehe hierzu auch Richter, a.a. O., S.24 ff.
17 Zur Frage kulturellen Fundamentalismus siehe Samuel P. Huntington: The
Clash of Civilizations? in: Foreign Affairs, Summer 1993, S.22-49 sowie
die anschließende Debatte in Foreign Affairs, October 1993; ferner
Robertson, a.a.O., S.164-181 sowie Lash/Urry, a.a.O., S. 305-312
18 Siehe hierzu als kritische Darstellung: Klaus Krippendorf: Der verschwundene
Bote. Metaphern und Modelle der Kommunikation. In:Klaus Merten/Siegfried
J. Schmidt/Siegried Weischenberg (Hrsg.): Die Wirklichkeit der Medien. Eine
Einführung in die Kommunikationswissenschaft. Opladen 1994, S. 79 -
113
19 Niklas Luhmann: Wie ist Bewußtsein an Kommunikation beteiligt?
In: Gumbrecht, Hans Ulrich /Pfeiffer, Karl-Ludwig 1988 (Hrsg.): Materialität
der Kommunikation. Frankfurt/M.1988, S. 884; ferner Niklas Luhmann: Was
ist Kommunikation?; in: Niklas Luhmann: Soziologische Aufklärung: Bd.6:
Die Soziologie und der Mensch. Opladen 1995, s.113-124
20 Niklas Luhmann: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie.
Frankfurt/M. 1984, S. 193-200
21Vgl. zur Rolle des Verstehens in der Kommunikation Gebhard Rusch: Verstehen
verstehen. Ein Versuch aus konstruktivistischer Sicht; in: Luhmann, Niklas/
Schorr, Karl Eberhard (Hrsg.): Zwischen Intransparenz und Verstehen. Fragen
an die Pädagogik. Frankfurt/M. 1986, S.40-71; Luhmann, Niklas: Systeme
verstehen Systeme. In: Luhmann, Niklas/ Schorr, Karl Eberhard (Hrsg.): Zwischen
Intransparenz und Verstehen. Fragen an die Pädagogik. Frankfurt/M.
1986, S.72-117; ferner Heinz von Foerster: Verstehen verstehen, In: Heinz
von Foerster: Wissen und Gewissen. Versuch einer Brücke. Frankfurt/M.
1993, S.282-298;
22 Giddens 1995, S.86
23 Siehe zu dieser Auffassung Schmidt, Siegfried J. 1992 (Hrsg.): Kognition
und Gesllschaft. Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus 2. Frankfurt:
Suhrkamp, S.425-450; Siegfried J. Schmidt: Medien = Kultur? Bern: Benteli
1994, S.28ff.; Siegfried J. Schmidt: Kognitive Autonomie und soziale Orientierung.
Konstruktivistische Bemerkungen zum Zusammenhang von Kognition, Kommunikation,
Medien und Kultur. Frankfurt/M.1994, S.202-260; Peter M. Hejl: Culture as
a Network of Socially Constructed Realities; in: Ann Rigney/Douwe Fokkema
(Hg.): Cultural Participation. Trends since the Middle Ages. Amsterdam 1993,
S. 227-250; ferner Niklas Luhmann: Kultur als historischer Begriff; in:
ders.: Gesellschaftstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie
der modernen Gesellschaft, Bd.4, Frankfurt/M. 1995, S. 31-54; Werner Faulstich:
Was heißt Kultur? Aufsätze 1972-1982, Tübingen 1983, S.13-33
sowie speziell für die Kultursoziologie Raymond Williams: The Sociology
of Culture. Chicago: University of Chicago Press 1995, S.11f.
24 Siehe hierzu Thierry de Duve: Kant nach Duchamp. München 1993, S.8-80
25 Siehe hierzu Niklas Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft. Frankfurt/M.
1995, S. 301-308
26 siehe hierzu: Robertson, a.a.O., S. 164-181
27 Vgl. Huang Hai-ming: Local Consciousness and Cultural Identity. In: Nicholas
Jose/Yang Wen -I: ARTTAIWAN. The Contemporary Art of Taiwan. Ausst. Kat.
Museum of Contemporary Art, Sydney/Taipeh Fine Arts Museum. March- June
1995, S.56-61
28 Norman Fairclough: Globalisation of discursive practices; electronically
published January 1996 under URL: http://allserv.rug.ac.be/~sslembro/GLOBAL/
29 Virgina Shea: Netiquette. Albion Books 1994 (URL: http://www.netsurf.com/nsm/v01/01/albion/albion.html)
30 LISTSERV (TM) Listowner's Manual, Version 1.8b, 1995, Chap. 6.2: "The
role of the list owner as moderator"
31 Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur; Freud Studienausgabe, Bd,.
IX, Frankfurt/M. 1974, S.197-270
32 siehe hierzu auch Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten;
Frankfurt/M. 1958, S.82, sowie S.95ff.
33 Ernst Kris: Die ästhetische Illusion. Phänomene der Kunst in
der Sicht der Psychoanalyse. Frankfurt/M.1977, S.189ff.
34 URL: http://adaweb.com/project/secure/corridor/sec1.html
35 URL: http://adaweb.com/cgi-bin/scher/bbs.cgi
36 URL: http://adaweb.com/project/one.shtml
37 URL: http://adaweb.com/project/holzer/cgi/pcb.cgi?change
38 URL: http://adaweb.com/project/holzer/cgi/pcb.cgi?beliefs
39 vgl. auch Antonio Muntadas: The File Room Censorship Archive (URL: http://fileroom.aaup.uic.edu/FileRoom/documents/homepage.html)
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