erschienen
in: Christoph Tannert/Ute Tischler (Hg.): Men in Black, Handbuch der kuratorischen
Praxis, Frankfurt am Main: Revolver – Archiv für Aktuelle Kunst
2004, S.134 – 137
“God Is
A Curator”, lautet der Titel eines Vortrages des Münchner Künstlers,
Musikers, Kritikers und Kurators Justin Hoffmann. “Thank God I am not
a Curator”, träumt der polnisch-britische Soziologe Zygmunt Bauman
anlässlich des Kongresses “Stopping the Process? Contemporary Views
on Art and Exhibitions” im Nifca Center Helsinki 1997. Woraus man den
Schluss ziehen kann, dass Zygmunt Baumann weder Gott noch Kurator ist. Man sollte
vielleicht noch ergänzend hinzufügen, dass Gott selbst natürlich
auch kein Kurator ist, sondern dafür seine Stellvertreter auf Erden hat.
So ist nämlich der Kurator im Kirchenrecht ein bestellter Vormund oder
Pfleger, der im kirchlichen Prozess für den Geisteskranken und Geistesschwachen
handelt. Der Kuratus bezeichnet in der deutschen Kirchenrechtssprache den Seelsorger
eines zum Verband einer Pfarrei gehörigen Gebietes. Er ist eine Art Hilfspriester,
der seine Tätigkeit in Unterordnung unter den Pfarrer ausübt, zuweilen
aber auch davon unabhängig ist. Gerade, wenn man einmal beobachtet hat,
wie beliebt Sonntag vormittägliche Vernissagen zur Gottesdienstzeit sind,
könnte man einige Parallelen in der Geschichte dieses Konzeptes erkennen.
Den Ausgangspunkt für die folgenden Überlegungen bildet die Beobachtung,
dass in den letzten Jahren der Begriff des Kurators mehr und mehr an prominenter
Stelle im Ausstellungsgeschehen aufscheint. Wir haben es hier mit der Entstehung
eines Starsystems zu tun, wie es Richard Sennett in “Die Tyrannei der
Intimität” hervorragend beschrieben hat. Mehr und mehr drängen
Kuratoren als Gestalter von Ausstellungen in den Vordergrund. Es gibt mittlerweile
einen glitzernden Namenskult unter dem Etikett "Curated by ...", selbst
wenn sich nur jemand darum gekümmert hat, dass die Handwerker die Bilder
richtig aufhängen, die Abbildungen im Katalog mit den richtigen Legenden
versehen sind und möglichst wichtige Personen zur Eröffnung eingeladen
sind. Wenn man den Namen des Kuratoren kennt, weiß man meist schon, was
man zu erwarten hat.
Meistens verbindet sich mit bestimmten Kuratoren auch eine mehr oder weniger
bestimmbare Gruppe von Künstlern, die im Schlepptau einzelner Kuratoren
von einer Ausstellung zur nächsten mitgenommen werden. Kuratoren besetzen
und definieren damit zunehmend die Schnittstelle zwischen Künstler, Institution
und Publikum. Die Frage ist, ob wir es wollen, dass sich die Definitionsmacht
für zeitgenössische Kunst in der Hand einer Person konzentriert. Die
Frage ist also, wo befinden wir uns? In einer Zeit des zunehmenden kuratorialen
Absolutismus oder schon in einem Zeitalter der kuratorialen Aufklärung?
Der Kurator wird zunehmend selbstreflexiv. Er reflektiert kritisch oder unkritisch
seine Tätigkeit. Es ist kein Geheimnis der Kommunikationswissenschaft,
dass sich durch verstärkte Selbstreflexivität und verstärkten
Diskurs ein autonomes Subsystem herausdifferenziert, welches ich als Kuratorensystem
bezeichnen möchte. Allerdings scheint es noch nicht vollständig autonomisiert
und ausdifferenziert zu sein, denn viele Kuratoren sind gleichzeitig auch als
Kunstkritiker tätig, manche auch als Künstler. Die verschiedenen gesellschaftlichen
Rollen oder Positionen überschneiden sich hier in einzelnen Persönlichkeiten.
Der gegenwärtige Trend, “Kuratorenschulen” zu gründen,
beschleunigt die institutionelle Abkopplung und Autonomisierung eines eigenen
Kuratorensubsystems. Nach diesem Zeitpunkt kann eine Ausstellung, die ohne Beteiligung
eines fachmännisch ausgebildeten Kurators vorgenommen wurde, nur noch eine
inkompetente Ausstellung sein und die Kritik wird ihr das vorwerfen.
Aus diesen und anderen Gründen gibt es seit Anfang der neunziger Jahre
so etwas wie eine Handschrift, einen bestimmten Stil, ein bestimmtes Image,
einen Namen, der mit bestimmten Kuratoren und ihrer jeweiligen Arbeit in Verbindung
gebracht werden kann. Das, was früher das Werk eines Künstlers auszeichnete,
nämlich sein Stil, seine Handschrift und sein Name, gilt heute von der
Arbeit des Kuratoren. Er muss sich schnell eine möglichst unverwechselbare,
originelle und innovative "Handschrift" aneignen, um sich im Markt
der zunehmenden Kuratorenkonkurrenz positionieren zu können, zu überleben
und Aufmerksamkeit (und das heißt auch: möglichst viel Geld) auf
sich lenken zu können. Man könnte noch weiter gehen und danach fragen,
ob das kuratoriale Subsystem, dessen historische Ausdifferenzierung wir im Moment
miterleben, in seiner öffentlichen Identität sich bereits so weit
ausdifferenziert hat, dass man von der curatorial identity bestimmter Institutionen
sprechen kann, wenn man beispielsweise an Thomas Krens globalisierte Visionen
des Guggenheim-Museums denkt.
Alles das, was also bis vor kurzen noch eine typische Strategie der Künstler
war, nämlich einen unverwechselbaren und innovativen Stil anzustreben,
der Aufmerksamkeit (und das heißt: auch Geld) einbringt, trifft jetzt
auf die Ebene der Kuratoren zu. D.h. typische Strategien künstlerischer
Arbeit sind jetzt auf eine Meta-Ebene gewechselt oder transformiert worden (wenn
man den Kurator, der zwischen Institution und Künstler steht, als eine
Meta-Ebene künstlerischer Arbeit im institutionellen Feld ansehen will.)
Es sich daher die Frage, was diese Veränderungen strategisch für die
Künstler bedeuten. Wenn alles von demjenigen, was ein Künstler in
den Jahren seiner Ausbildung mühevoll gelernt hat, nämlich innovativ
und unverwechselbar zu sein und einen einzigartigen Stil hervorzubringen, nun
plötzlich auf der Ebene über ihm auftritt, nämlich auf der Ebene
seines Kuratorenfreundes, dann ist der Künstler hinsichtlich seiner stilistischen
Autonomie zwangsenteignet worden und eine Stufe tiefer gerutscht. Dem "semantic
ascent" des Kuratoren steht nun der "semantic descent" des Künstlers
und seines Werkes gegenüber.
Hier ist also die Frage interessant, wie Künstler in ihrem künstlerischen
Werk auf diese Bedeutungsverschiebungen oder -enteignungen reagieren. Versuchen
Sie selbst einen Sprung auf diese Meta-Ebene des Kurators und produzieren ihren
unverwechselbaren, künstlerischen und gesellschaftlichen Stil nun auf dieser
Meta-Ebene, wie z.B. Fareed Armaly, Tilo Schulz, Marina Grzinic, Alexander Koch,
Christoph Keller, Jutta Koether, oder Apolonija Sustersic? Oder, falls Sie das
nicht tun, wie verändert sich ihr Werk unter der Bedingung des "semantic
descent"? Wird Bedeutung von nun an durch kuratoriale Anordnung erzeugt?
Ist es gleich gültig, was auf den Bildern zu sehen ist, weil die Aufmerksamkeit,
die Bedeutung und damit der finanzielle Mehrwert auf einer Meta-Ebene der Galerien-Selektion
und/oder der kuratorialen Anordnung erfolgt? Oder ist der konsequente Ausstieg
aus diesem System einer schleichenden (oder schon trabenden) Erosion der Bedeutungs-
und Machtposition des Künstlers die höchste, weil neueste Form der
Kunst (z.B. die Belgrader Künstlergruppe Skart).
Aber auch der Kurator als ein immer noch weit gehend selbst appropriierter Meta-Künstler
ist von der Drohung des "semantic descent" nicht ausgeschlossen. Denn
erste Anzeichen deuten darauf hin, dass Institutionen, Stiftungen oder Geldgeber
mehr und mehr aus Gründen des zunehmenden Konkurrenzkampfes, aus Profilierungsdruck,
aus Gründen der Aufmerksamkeitsbindung (und das heißt: auch Geldschöpfung)
oder ihrer cultural identity dazu tendieren, sich als unverwechselbar, originell,
einzigartig und unentbehrlich für die Gesellschaft und ihre Kultur zu präsentieren.
Künstlerische Strategien im institutionellen Feld wandern also gegenwärtig
immer weiter nach oben ins Management ein. Mit jeder Stufe dieses “semantic
ascent” wird der Künstler ärmer und bedeutungsloser.
In den letzten Jahren ist eine neue Spezies in das Kunstsystem eingewandert,
die sich als Ausstellungsgestalter, Szenographen oder Eventdesigner bezeichnen.
Der Unterschied zur Arbeitsweise von Künstlern oder Kuratoren liegt darin,
dass sie wie Werbeagenturen oder Architekturbüros als straff geführte
Firma organisiert sind, die Aufträge hereinholen, Kunden betreuen und eine
große Zahl von festen und freien Mitarbeitern besitzen. Das Neuartige
an dieser Spezies ist, dass sie verschiedenste Bereiche der Ausstellungsgestaltung
gleichzeitig abdecken. Die meisten der führenden Köpfe kommen nicht
aus der Kunst, sondern aus der Architektur, dem Bühnenbild oder aus dem
Produktdesign, oft in personeller Kombination. Der Arbeitsbereich solcher Ausstellungsdesigner
kann von der gesamten Konzeption der Außenarchitektur bis zur Innenarchitektur
mit genauesten Plan- und Detailzeichnungen für Schreiner, Elektriker und
Installateure über die inhaltliche Konzeption der Schau einschließlich
der Präsentation der materiellen Objekte bis hin zu theoretischen, historischen
oder kulturgeschichtlichen Texten, Katalogproduktion, Corporate Design und technischem
Support reichen. Das Bequeme (und vor allem: Teure) für den Auftraggeber
ist dabei, dass er eine Rundum-Komplettlösung ("all inclusive")
für seine Probleme angeboten bekommt. Um es aber klar und deutlich zu sagen:
Hier geht es um Millionenumsätze. Manche derartigen Projekte haben ein
Gesamtvolumen von bis zu 25 Millionen Euro. Das ist etwa der gesamte Jahresetat
der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn. Es
ist nicht ungewöhnlich, dass derartige Ausstellungsdesign-Agenturen an
bis zu 10 verschiedenen Groß-Projekten gleichzeitig arbeiten. Man betritt
hier das Terrain einer erneuten historischen Positionsverschiebung. Sie schreibt
sich zunehmend an der Schnittstelle zwischen Auftraggeber oder Institution auf
der einen Seite und Kuratoren und Künstlern auf der anderen Seite ein.
Dagegen nehmen sich der idealistische free lance curator oder der am
Existenzminimum lebende Künstler wie kleine, graue Kirchenmäuse aus.
Über mögliche Strategien und Konsequenzen, die aus dieser historischen
Situation herausführen, müsste meines Erachtens dringend diskutiert
werden. Vielleicht gilt ja bald wieder die Devise von Sigmund Freud, dass Kunst
vor allem aus dem Unbehagen an der Kultur entsteht.