Hans Dieter Huber
"Ich sehe was, was du nicht siehst"
Gespräch zwischen Manfred Lepold, Hans Dieter Huber und Heinz Possert am 18. 11. 1994 in Mannheim


(veröffentlicht in: Acht Gruppen - Acht Räume. Ausst.- Kat. Württembergischer Kunstverein Stuttgart, 15. Dezember 1994 - 15. Januar 1995, o.S. (S. 6 - 9) )

Manfred Lepold: Ja, Hans Dieter - was war eigentlich dein Motiv, mitzumachen, nachdem ich dich gefragt hatte, ob du interessiert bist? Was ist dein Interesse an der Gruppenausstellung gewesen?

Hans Dieter Huber: Also, ich hab' ja bereits in den 80er Jahren viel mit anderen Künstlern, Musikern und Schriftstellern zusammengearbeitet. Von daher ist mir Zusammenarbeit geläufig; und ich arbeite immer noch lieber mit anderen zusammen als alleine.

Heinz Possert: Also, den Vorsprung, den der Hans Dieter aufgrund seiner Erfahrungen in den 80er Jahren hat, den kann ich nicht vorweisen. Für mich ist das ein Experiment; irgendwo bis zu einem gewissen Grade auch ein Abenteuer. Von daher bin ich sehr gespannt. Die Vorbereitungen für diese Gruppenausstellung waren doch sehr aufwendig. Aber ich habe diese Zeit sehr zu schätzen gelernt.

Manfred Lepold: Ich glaube, die Ausstellung ist ja auch so etwas wie ein konzeptioneller Kompromiß. Es ist keine Arbeit, die zu dritt realisiert wurde, sondern es sind Exponate, die jeweils aus den Ateliers der Beteiligten ausgewählt wurden.

Hans Dieter Huber: Aber wir haben diese Auswahl zu dritt realisiert, insofern ist es auch kein Kompromiß. Also da würde ich schon widersprechen.

Manfred Lepold: Ja, Kompromiß ist vielleicht das falsche Wort, aber es ist eben nicht die radikale Gruppenarbeit. die von Anfang bis Ende gemeinsam realisiert wurde. Die Arbeiten wurden ja aus den jeweiligen Beständen aufgewählt.

Heinz Possert: Es hat sich so ergeben, daß man die Arbeiten des anderen im Atelier entdeckt hat. Über das Gespräch sind Zusammenhange zwischen den Arbeiten erkennbar geworden, die der Autor des Werkes so nicht gesehen hat. Und auf diese Weise haben wir versucht, diesen blinden Fleck vor der eigenen Arbeit aufzuheben, und darauf aufmerksam zu machen, daß es diesen Fleck gibt.

Hans Dieter Huber: Deshalb haben wir die Sache ja auch "Ich sehe was, das du nicht siehst" genannt, um eben darauf hinzuweisen, daß diese Gruppensituation Wahrnehmungsmöglichkeiten eröffnet hat, die dem einzelnen vor seiner Arbeit verschlossen geblieben waren.

Manfred Lepold: Also, ich habe etwas daraus gelernt. Einmal durch die Auswahl der Exponate, wie diese mit den anderen interagieren, und zum zweiten, weil ich auch gezwungen war zu argumentieren. Ich konnte mich zwar auf die Ebene des Gefuhls und des Instinktes verlassen, aber ich war durch die Zusammenarbeit gewungen, das auch begrifflich zu fassen.

Heinz Possert: Und genau diese Rechffertigung hat zur Folge, daß man sich wirklich ernsthaft mit der eigenen Arbeit auseinandersetzt, anstatt nur im stillen "Kämmerlein" zu "produzieren", mit wenig Aussicht auf Resonanz und auf Dialog mit anderen Leuten. Das hat mich schon interessiert an der Geschichte.

Hans Dieter Huber: Ich halte dieses Produzieren im stillen Kämmerlein, historisch gesehen, sowieso für überholt, weil es auf einem Künstlerbegriff des 19. Jahrhunderts fußt, der Künstler als Boheme und als einsames Genie. Diesen Künstlerbegriff halte ich fur das nächste Jahrhundert nicht mehr für tragfähig.

Heinz Possert: Er ist vielleicht nicht tragfähig, aber so ist die Situation im Moment.

Hans Dieter Huber: Und das ist ja auch eine Krisensituation der Kunst. Deswegen machen sie ja auch eine Ausstellung mit dem Titel "Künstlergruppen", weil das den Leuten wahrscheinlich langsam dämmert, daß dieser Begriff des Künstlers, der alleine arbeitet, sozusagen fur die Zukunft nicht weiter perpetuierbar ist.

Heinz Possert: Aber vielleicht ist gerade in solchen Zeiten, wo man sagt, jetzt ist nichts los, am meisten los. Also, da fangt es an loszugehen. Eben in Gruppen zu arbeiten und nicht als Einzelkämpfer.

Hans Dieter Huber: Genau, ja.

Heinz Possert: Über Gruppen bewegt sich was.

Hans Dieter Huber: Jetzt im Moment ist nichts los, aber in Wirklichkeit bereitet sich das Neue schon vor. Sagen wir mal, unter dem Teppich. Und ich denke, das braucht vielleicht noch ein paar Jahre, um sichtbar zu werden, was sich da vorbereitet.

Manfred Lepold: In unserer Ausstellung tauchen ja auch die Exponate ohne Namensnennung auf; nur mit Titel, Entstehungsjahr, Technik und Maßangaben versehen.

Heinz Possert: Zeugt dieses bewußte Anonymhalten der einzelnen Arbeit nicht von einer großen Unsicherheit gegenuber dem eigenen Werk? Wie beurteile ich denn meine Arbeit und wie die meiner Kollegen?

Hans Dieter Huber: Aber ich würde es nicht Unsicherheit nennen, ich würde es Ent-Auratisierung nennen. Denn indem wir den Namen von dem Werk wegnehmen, wird das Werk als solches leichter beobachtbar. Es hängt nicht mehr an einer bestimmten Person oder an einem großen Namen dran. Das ist ja das Entscheidende, was Elaine Sturtevant in ihrer Arbeit aufgezeigt hat. Und daß wir diesen Namen weggenommen haben, ist ja wiederum auch ein Zeichen dafür, daß wir eben ganz klar sagen: Der einzelne ist in dieser Situation nicht so wichtig.

Heinz Possert: Das Ganze tendiert eben dazu, diesen Ego-Trip zu überdenken. Das nimmt ja zuweilen schreckliche Ausmaße an.

Manfred Lepold: Unser Beitrag ware demzufolge als Resultat eines Gespräches zu verstehen, nämlich individuelle Beiträge bewußt in einen erweiterten Zusammenhang zu stellen.

Transkription des Gesprächs: Uschi Pinner


Hans Dieter Huber