Hans Dieter Huber
Netzkunst und die Sammeltätigkeit der Kunstmuseen

First Installation: 07.02.1998 Last Update: 23.05.1999

(erschienen in: netz.kunst. Jahrbuch für moderne Kunst 98/99. Nürnberg: Verlag für moderne Kunst 1999, S. 134-137)

Aus historischer Perspektive gesehen, bestand und besteht der Auftrag des Museums im Bewahren, Erhalten und Vermitteln der wichtigsten kulturellen Leistungen und Errungenschaften unserer Gesellschaft.

Mit dem Ende 1993 vom National Center for Supercomputing Applications (NCSA) entwickelten neuartigen Browser Mosaic war zum erstenmal in der Geschichte der weitgehend textbasierten Computernetze die Möglichkeit entstanden, Bilder, Filme, Töne und Textpassagen gleichberechtigt nebeneinander zu präsentieren und sie auf einen neuartige, assoziative Weise durch sog. Hyperlinks miteinander zu verknüpfen. Das World Wide Web war entstanden. In Folge der raschen Ausbreitung dieses Netzes entstanden ebenso rasch die ersten künstlerischen Projekte mit diesem Medium. Wichtige frühe Pioniere der Netzkunst warten u.a. der Engländer Heath Bunting (www.irational.org), der kanadische Filmemacher David Blair mit seinem Hyperfilm WaxWeb von 1993, sowie der Berliner Joachim Blank. Diese frühen Pionierarbeiten, die teilweise noch in originaler oder bereits verstümmelter Form im Netz selbst liegen, sind ständig vom Abschalten und dadurch von ihrem endgültigen Verschwinden bedroht.

Aus diesem Grunde muß dringend mit der Sammlung, Bewahrung, Erhaltung und Vermittlung der frühen Inkunabeln der Netzkunst begonnen werden. Es besteht sonst die Gefahr, daß die frühen Werke aus dem WWW, der Geschichte und damit aus dem historischen Bewußtsein einer Zeitepoche herausfallen.

Zum Sammeln und Erhalten von Werken der Netzkunst gibt es bisher erst schwache Ansätze. Bisher gibt es nach meinen bruchstückhaften Kenntnissen keine Institution, welche gezielt und systematisch Netzkunst sammeln würde. In diesem Sinne ist ein Vorstoß in diese Richtung innovativ und neu sein. Er würde in seinen inhaltlichen, formalen, rechtlichen und organisatorischen Dimensionen in unbekanntes Neuland vorstoßen.

 

Mögliche Kriterien des Ankaufs

Kriterien sollten einmal historischer Art sein, d.h. die frühen, bedeutenden Projekte erfassen, auch wenn sie heute vielleicht schon einfach und simpel anmuten, also sozusagen die "Frühdruckzeit" des "HTML 1.0", den Erhalt der Inkunabeln, sichern.

Ein weiteres, von der historischen Zeit unabhängiges, aber dennoch wichtiges Kriterium ist die Wirkung oder Bedeutung einer bestimmten Arbeit auf andere Arbeiten oder Aktivitäten im Netz oder auch außerhalb. Hier sind vor allem die Arbeiten der Internationalen Stadt Berlin, von Jodi, Alexeij Shulgin, Moskau, Vuk Cosic, Lublijana, oder das name.space project von Paul Garrin von großer Bedeutung.

Ein drittes, medienspezifisches Kriterium könnte die Frage sein, ob und inwieweit sich Arbeiten der Netzkunst nicht oder um den Preis ihrer Abtötung, d.h. toten Reproduktion in ein anderes Medium wie z.B. CD-ROM oder Diskette kopieren ließen. Arbeiten,die nur im Netz selbst funktionieren können und nirgendwo anders, als Konserve, wären als genuin netzspezifische Arbeiten einzustufen. Hier wäre an folgende Projekte zu denken. Jenny Holzer: Please Change Belief; Lawrence Weiner: Homeport, Joachim Blank/Karl-Heinz Jeron: without addresses; I/O/D's Web Stalker.

 

Der Ort der Sammlung (site-specifity)

Es wäre darüber nachzudenken, ob man Netzkunstarbeiten, die man erworben hat, solange an ihrem jeweiligen Ort im Netz belässt, solange sie funktionieren. (Das wäre ein Aspekt der site-specifity von Netzkunst, der ähnlich dem Fall von Kunst im öffentlichen Raum zu behandeln wäre, deren Besitzer ein Museum wäre.) Ich würde selbst dafür plädieren, angekaufte Arbeiten zunächst dort zu belassen, wo sie sind und wo sie funktionieren. Denn das erleichtert den Betreuungsaufwand und die ganzen Fragen der technischen maintenance wären gelöst. Parallel sollte allerdings mit dem Ankauf, der Vertragsunterzeichnung und Bezahlung eine komplette Sicherungskopie (sei es auf CD-ROM oder Festplatte) im Archiv für alle Fälle abgelegt werden. Man könnte auch vertraglich vereinbaren, daß zu jedem 1.1. des neuen Jahres eine neue Sicherungskopie des aktuellen Standes geschickt werden muß, falls sich die Arbeit weiter in ihrer Struktur veändert. Erst für den Fall, daß die jeweilge Arbeit oder der Server abgeschaltet und ganz vom Netz genommen werden würde (wie im Falle von Daniela Alina Plewe, Manfred Miersch und Internationale Stadt Berlin, bereits geschehen), sollten sämtliche files, Dateien und Skripte physikalisch auf den Server des Museums übertragen werden und dort ihre neue site und Betreuung finden. Man sollte auf der Einstiegsseite jeder erworbenen Netzkunstarbeit ein logo anbringen, das es kenntlich macht, daß diese Arbeit im Besitz des jeweiligen Museums ist und daher den copyright-Bestimmungen des deutschen (?), amerikanischen (?), englischen(?) Urheberrechtsschutz-Gesetzes unterliegt.

 

Technische Probleme der Erhaltung und Sammlung

Diese Fragen sind jetzt noch sehr schwer abzuschätzen. Trotzdem kann man bereits festhalten, daß diese Fragen hochinteressant und wichtig sind und dringend einer Klärung nähergeführt werden sollten. Generell kann man aber vielleicht sagen, daß ähnliche konservatorische Probleme, wie sie bei der Erhaltung und Konservierung von Video- und Medienkunst heute bereits auftreten, auch hier zum konservatorischen Problem werden könnten. Diese konservatorischen Probleme lassen sich in Probleme der Softwarekonservierung und der Hardwarekonservierung untescheiden. So gibt es eine enge Verzahnung zwischen den verschiedenen Versionen des Betriebssystems, der darauf abgestimmten Browser sowie deren Plug-ins. Dies gilt für die drei wichtigsten Plattformen, MS-DOS und Macintosh und UNIX. Das heißt im Prinzip, daß man parallel zum Sammeln der Netzkunstarbeiten ein Archiv von Softwaresammlung anlegen, anbieten und für Download (per FTP) bereithalten muß, in dem die relevanten Betriebssystemversionen, Browserversionen und Plug-in-Versionen gesammelt gehören. Insbesondere ist ab jetzt auf ein konsequentes Sammeln und Archivieren dieser Softwarebestandteile zu achten. Bei Aufwärtskompatibilität sind ältere Softwareversionen kein Problem. Allerdings wird es dann zu einem Problem, wenn eine neue Betriebssystemsoftware oder Browsersoftware nicht mehr das Installieren und Abspielen älterer Versionen oder Files erlaubt. Hier muß oder sollte also parallel eine Art historischer Sammlung, Archivierung und Inventarisierung der für Netzkunst benötigten Computersoftware betrieben werden. Inwieweit sich das Problem auch auf Hardwarekomponenten ausdehnt, was nach der Lektüre von Erich Gantzert-Castrillos Aufsatz zu vermuten ist, vermag ich als Laie dagegen nur wenig zu beurteilen. Hier müßte man Experten der Computerentwicklung befragen und weitere Forschung in Richtung der Geschichte des Computers wäre notwendig. Ebenfalls lehrreich wären Erfahrungsberichte und gegenseitiger Erfahrungsaustausch mit zuständigen Konservatoren, z.B. des Medienkunstmuseums Karlsruhe oder des Computermuseums in Boston.

Diese Fragen könnten durch eine parallele Forschungstätigkei einer weiteren Klärung nähergeführt werden.

 

Rechtliche Probleme beim Sammeln und Erwerben von Netzkunst

Diese Fragen betreffen einmal die Frage des rechtmäßigen Eigentümers einer Netzkunstarbeit. Ist es der Künstler selbst, ein Team oder die Institution, welche die Produktion eines solchen Werkes in Auftrag gegeben hat, wie im Falle von ada'web oder stadium. Hinzu kommen Fragen, inwieweit dem Künstler nach einem Ankauf das Recht zugestanden werden soll, sein Werk weiter verändern oder ausbauen zu können. Man sollte dies von Fall zu Fall, je nach spezifischer Struktur und Bedeutung des Werkes, nach sorgfältiger Abwägung, entscheiden. Da die meisten Netzkunstwerke durch eine Veränderung ihrer Struktur im Netz selbst leben, müßte man im Prinzip von einer solchen Veränderbarkeit ausgehen. Dies kann sicherlich durch entsprechende vertragliche Regelungen formuliert werden.

Schwerwiegendere Probleme entstehen dagegen bei der Frage nach dem Original und seiner Kopierbarkeit. Grundsätzlich kann man die meisten Arbeiten, die ohne Skripte oder Java-Applets arbeiten, einfach durch Downloaden auf seine eigene Festplatte kopieren. Das Anfertigen einer solchen Kopie muß rechtlich als eine Verletzung des geltenden Urheberrechts angesehen werden. Allerdings gilt auch hier der Grundsatz: wo kein Kläger, da kein Richter. Dieses private Downloaden ist eigentlich unproblematisch. Schwieriger wird es dagegen im rechtlichen Sinne, wenn ein Netzkaktivist bespielswise eine angekaufte Arbeit kopiert und im Ausland irgendwo öffentlich aufs Netz legt, wie es beispielsweise Vuk Cosic mit der gesamten Seite des documenta-Servers gemacht hat, von dem jetzt eine (illegale) Kopie in Lublijana liegt. Dazu muß man vielleicht anmerken, daß viele User es ziemlich unverschämt fanden, daß die gesamte Webseite, die eine wichtige Inkunabel der Webpräsenz der documantainstitution war, einfach am letzten tag der documanta, dem 26.9.97, abgeschaltet wurde. So gesehen hat Vuk Cosic einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung und Konservierung dieser Site geleistet. Da hier das Tatortprinzip gilt, wäre in diesem Falle, soweit ich als Laie darüber Bescheid weiß, internationales Recht bzw. slowenisches Recht anzuwenden. Ähnlich wie bei dem Kauf von Software könnte man hier ähnliche Regelungen und Lizenzbestimmungen vertraglich formulieren. Auch hier wäre es sinnvoll, noch einmal Rechtsexperten auf diesem Gebiet zu befragen.



 

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