Hans Dieter Huber
Die Jungs von der Raststätte

(Elektronisch publiziert am 13. Februar 1997 bei Raststätte e.V., Aachen)



"Mehrwert", "Raststätte", "Netzkulturen", "Heimat", immer mit "e.V." hinten dran, locken dich auf eine falsche Fährte. Ich stelle mir eine Fifty- Tankstelle vor mit weit auskragendem Vordach, roten Metallstützen, schrägen Glasscheiben, an einem Kreisel oder einer grossen Einfallstrasse in Aachen. Als Gregor am Telefon sagt, dass der Pächter im ersten Stock ein Zimmer hätte, wo ich übernachten könnte, denke ich an eine Gaststätte mit Schlüsselbrett an der Theke. Ich komme in Aachen an und die Raststätte ist gar keine Gaststätte und auch keine Tankstelle, sondern ein ehemaliger Gemüseladen. Innen befindet sich gar nichts, nur ein staubiger Betonfussboden ohne Estrich. Es riecht nach Presslufthammer. Massivste Stahlträger mit rostigen Fleischerhaken hängen aus den Deckenresten. In dem Staub Kilometer von Koax-Kabeln, ein wackliges Tischchen mit ebensolchem Stuhl, PC und Tastatur. Noch eine kleine Nirosta-Spüle mit dem üblichen, unabkömmlich dunkelgrauen Plastik-Rohr als Skulptur sichtbar in den Raum drapiert. Arte Povera Chic oder ist nur das Geld ausgegangen? Einer pappt einen 200.000 DM Beamer mit Transportbändern und schwarzem Gaffertape an die Decke. Is' ja nich' mein Beamer. Jedenfalls beschliesse ich, sorgfältig darauf zu achten, an diesem Abend nicht unter dem Gerät zu stehen. Eiskalt drin. Ich frage den Pächter, ob er einen warmen Pullover für mich hätte. Sehe aus wie ein Skilehrer aus St. Johann.

Publikum trollt ein. Man kennt sich. Vom 40-jährigen Hippie über freiwillige Umschuler zu hippen Designstudentinnen, Ökos, Avantgardoes mit Fluppe im Mund. Auch' ne Oma mit Dutt und Brille kommt rein. Muss sich verlaufen haben. Ist gestopft voll. Viel zu wenig IKEA-Klappstühle, selbst im Schaufenster ist keine Backe mehr frei. Langsam wirds wärmer. Jeder Redner hat 10 Minuten, danach wird ihm der Hahn abgedreht. Sie stehen in der messerscharfen Projektion des Beamers und tauchen ins blaue Leuchten des Datenschirms. Auf den Gesichtern zeichnet der Kathodenstrahl eine Topographie ferner Nähe. Der Informatiker tippt fehlerlos die schwierigsten URLs per Zufruf ein. <HIT>-<ENTER>- und da ist die Seite.

Was auf den ersten Blick ungekonnt aussehen mag, ist jedoch Resultat grösster Präzision. Sprezzatura -gekonnte Nachlässigkeit- würde Castiglione den Jungs von der Raststätte attestieren. Ein superschneller ISDN-Anschluss lässt die Seiten förmlich auf den Bildschirm poppen. Die Projektion ist ausgezeichnet, superscharfes Bild, klasse Farben, 3x5 Meter gross glüht die Wand in blauen Pixels. Eine einmalige Crew ist da am Werk. Man müsste sie auf Tournee schicken in die digitalen Katakomben verräucherter Clubs.: "Die Drei von der Raststätte."




 

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