Hans Dieter Huber
Über das Starsystem in der Kunst (1)

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Künstlerinnen und Künstler,

damals war ich 24 Jahre alt, als ich vor mehr als 13 Jahren von München nach Heidelberg gezogen bin, um als frischer Absolvent der Kunstakademie meine ersten Schritte als freier Künstler ohne Geld und ohne Atelier auszuprobieren. Vor allem Hans Gercke war es und der Kreis um den Heidelberger Kunstverein, welche als Katalysatoren für die Ideen und Projekte uns junger Künstler wirkten. Durch seine Ausstellungen im Amerikahaus und in der Gartenhalle lernten wir uns als Künstler gegenseitig kennen und unser Werk schätzen . Es ist daher für mich eine große Ehre, heute hier zu stehen und zu Ihnen sprechen zu können, sozusagen in einer Rückschau auf 13 Jahre Kunstszene des Rhein-Neckar-Raumes.

Aber eigentlich wollte ich ja über das Starsystem in der Kunst reden. Nur haben wir hier das Pech, daß wir kaum Stars in der Region haben, außer vielleicht Anselm Kiefer oder Rebecca Horn. Aber beide halten sich aus allen regionalen Angelegenheiten tunlichst heraus. Sie leben zwar hier, aber doch nicht unter uns. Sie könnten genausogut auf dem Mond oder auf dem Mars leben und mit dem Space Shuttle pünktlich zur jeweiligen Vernissage landen. Solche Stars sind völlig unbrauchbar für die Selbstdarstellung und kulturelle Entwicklung einer Region, da sie ihren künstlerischen Output lieber Städten wie Philadelphia, Brüssel oder Paris zuteil werden lassen. Wie kommt das?

In allen Epochen hat es berühmte und namenlose Künstler gegeben. Und das Publikum wollte stets eher die Berühmten als die Namenlosen sehen. Das Star-System zieht nun seine Profite daraus, daß der Abstand zwischen Berühmtheit und Namenlosigkeit immer weiter vergrößert wird, so daß die Menschen schließlich jede Lust verlieren, sich eine Dichterlesung, ein Konzert, ein Theaterstück oder eine Ausstellung anzuschauen, wenn nicht irgendeine Berühmtheit dabei ist oder irgendetwas "Phänomenales, nie Dagewesenes" geboten wird. Immer wieder sind Künstler, Musiker, Dichter und Schauspieler gegen diese Tendenz zum Starkult zu Felde gezogen, der dem Publikum die Motivation nimmt, auch dem unbekannten Künstler Auge und Ohr zu leihen. Die Proteste und alternativen Gegenveranstaltungen wie Produzenten-Verlage,selbstverwaltete Künstlergalerien, artist spaces oder Straßentheateraufführungen sind jedoch ,auf Dauer gesehen, weitgehend wirkungslos geblieben.

Der junge Künstler sieht sich zunächst unfreiwilligerweise mit dem Starsystem konfrontiert. Das beginnt damit, daß er mit seiner Mappe unter dem Arm von Kunstverein zu Kunstverein oder von Galerie zu Galerie läuft, um eine Ausstellung zu bekommen und überall verschlossene Türen und Desinteresse für sein Werk vorfindet. Viele erfahren bereits in dieser Situation ihre ersten entscheidenden Dämpfer. Der aufstrebende Nachwuchskünstler muß unter oftmals schwierigen Bedingungen Räume und Ausstellungsmöglichkeiten suchen, um sein Werk der Öffentlichkeit präsentieren zu können. Dabei fallen meist enorme Kosten für ihn an, die er selbst tragen muß, in der vagen Hoffnung, irgendein Mensch von Bedeutung würde vorbeischauen und etwas kaufen oder ihn sogar weiterempfehlen. Das Starsystem zwingt den Künstler dazu, solche Auftritte zu absolvieren. Erst einmal muß er hoffen, daß ein Zeitungskritiker auf ihn aufmerksam wird und daß dann sein Artikel in einer wichtigen Kunstzeitschrift das Interesse eines Galeristen weckt. Denn nur über einen einflußreichen Galeristen kann er hoffen, die entsprechenden Kontakte zu Museen, wichtigen Ausstellungsmachern und Institutionen knüpfen zu können, welche die Verbreitung seines Werkes unterstützen und fördern.

Aber auch auf Seiten der Veranstalter und des Publikums wirkt sich das Starsystem aus, nur auf eine andere Weise. Der Großteil der Museumsdirektoren und Kunstvereinsleiter orientiert sich an den aktuellen Trends, die sie aus bestimmten trendsetzenden Kunstzeitschriften entnehmen. Nur wenige Veranstalter, vielleicht 5% würde ich schätzen, sind aus ihrer eigenen Erfahrung und ihrer Kenntnis der Kunstszene heraus in der Lage, wichtige Neuentwicklungen frühzeitig zu erkennen und die Hauptvertreter dieser Richtung auszustellen. Das Gros der anderen läuft diesen Trendsetzern hinterher. Gerade dieser Nachlaufeffekt der Massen verstärkt zusätzlich die Konzentration auf einige wenige "große" Namen, die man schon kennt und die immer wieder in den Zeitschriften auftauchen. Darüberhinaus kennen die meisten nur sehr wenig, da sie sich selten die Mühe machen, Künstler in ihren Ateliers zu besuchen oder die Entwicklung der Kunstszene genau zu beobachten.

Aus den Kleinstädten, wo sich den Künstlern immer einmal die Gelegenheit bietet, vor einem einigermaßen empfänglichen Publikum aufzutreten und ihre Sachen zu zeigen, ziehen die Ehrgeizigsten unter ihnen immer häufiger in die Großstädte, in denen sie bedeutend weniger Ausstellungschancen haben, das Publikum kulturell übersättigt ist und in welcher die ersehnte Ausstellung in der Masse der sonstigen Kulturveranstaltungen untergeht. Dies alles geschieht aus der fernen und vagen Aussicht heraus, irgendwann einmal groß rauszukommen. Viele Künstler hat der Druck des Starsystems ,"groß rauskommen zu müßen", innerlich unter einen solchen Erfolgszwang gesetzt, daß die Qualität ihres Werkes darunter Schaden gelitten hat. Viele, die auf den Kunstmarkt schielen, haben die "innere Notwendigkeit" ihres Werkes, also die Entwicklung aus den Bedingungen und Möglichkeiten der eigenen Existenz heraus, zugunsten eines schnellen Trend-Surfings auf der letzten Modewelle aufgegeben. Wir begegnen heute auf dem Kunstmarkt einer ganzen Menge solcher pseudo-authentischer, im Grunde aber verlogener Trendkunst, die nur die Aussicht auf Geld und Ruhm inspiriert, nicht aber die "innere Notwendigkeit", aus der heraus der echte Künstler sein Werk schafft.

Eine sekundäre Auswirkung des Starsystems in der Kunst ist ein Anwachsen der Besucherzahlen von sog. Top-Ausstellungen und ein gleichzeitiger Rückgang von Künstlern, die von ihrer Arbeit wirklich leben können. Es gehört zur Eigendynamik dieses Systems, daß die vorhandene Ungleichheit noch verstärkt wird. "Wenn 500 Menschen berühmt sind, ist keiner berühmt. Um also erkennbare Persönlichkeiten, herausragende Gestalten zu schaffen, muß man von den 500 mindestens 490 in den Hintergrund drängen. Dabei handelt es sich nicht nur um ein wohlwollendes Übersehen - jenen 490 muß aller Lohn für ihre Mühen entzogen werden, um ihn den 10 Glücklichen zukommen zu lassen."2 Das Starsystem setzt jeden Künstler unter einen erheblichen Erfolgsdruck, der sein Werk auf lange Sicht außerordentlich schädigt und ausbrennt. Solange jemandes Kunst nicht das Prädikat "außerordentlich" zuerkannt wird, bleibt sie ohne jede Bedeutung. Wer einmal die Beobachtung gemacht hat, wie sich junge Kunststudenten an den Akademien abquälen, um etwas Neues und Originelles zu erfinden, was auffällt, begreift schnell, welchen enormen Schaden dieses Starsystem an einer ganzen Generation von Künstlern anrichten kann.

Alles in allem funktioniert das Starsystem im Bereich der Kunst nach zwei Grundsätzen. Die höchsten Profite erzielt man , wenn man in die kleinstmöglichste Anzahl von Künstlern investiert. Diese sind die "Stars". Stars gibt es nur dann, wenn die Mehrheit der produzierenden Künstler ausgeschaltet wird. 3Nach diesem System funktionieren große Teile des internationalen Kunstmarktes.
Man hört oft den Allgemeinplatz ,die guten Künstler werden sich schon auf dem Kunstmarkt durchsetzen und etablieren. Aber erstens ist das ein ziemlich zynischer Sozialdarwinismus und zweitens glaubt wohl niemand ernsthaft daran, daß sich die täglichen Autostaus von selbst auflösen, weil sie auf Dauer gesehen, nichts Gutes darstellen,sich also nicht durchsetzen werden. Genauso müßen wir heute daran gehen, die Auswirkungen dieses Starsystems auf die Kunst von heute genau zu beobachten, um dessen Einflüße eingehender verstehen zu können. Heute läßt sich noch kaum einschätzen, welchen Einfluß das Starsystem auf die Entwicklung junger Kunst nehmen wird oder ob es eines Tages, wenn das Publikum seiner Stars überdrüßig geworden ist, auch wieder verschwinden wird.

Insofern ist die hier veranstaltete Ausstellung eigentlich eine subversive Veranstaltung, könnte man sagen, weil sie als ein Non-Profit-Unternehmen außerhalb der Kunst-Institutionen in einem öffentlichen Raum arbeitet, in dem man sonst keine Kunst findet. Als solches finde ich das Ausstellungskonzept von einiger Brisanz. Ich sollte daher vielleicht kurz erklären, was ich speziell an dieser Ausstellungsreihe so interessant finde. Öfters hört man im Vorfeld von Kollegen die Äußerung: "Eigentlich sollte man sich an solchen Ausstellungen nicht beteiligen!" Das finde ich nun ganz und gar nicht. Aber einmal davon abgesehen, daß jeder Künstler für sich selbst entscheiden soll und muß, in welcher Form und in welchem Rahmen er mit seinem Werk in die Öffentlichkeit treten will und seine Entscheidung stets unsere Anerkennung und unseren Respekt finden sollte, glaube ich dennoch, daß mehr Gründe für eine Teilnahme an solchen Ausstellungsprojekten sprechen als gegen sie.

Ein Kunstwerk, das wirklich aus einer "innerer Notwendigkeit" heraus entstanden ist, und etwas mitzuteilen hat über unsere Welt, ein solches Kunstwerk wird seine Kraft für alle Zeiten und in allen Situationen behalten, egal ob sein Hervorbringer berühmt geworden ist oder nicht. Es strahlt seine ästhetische Botschaft in den jeweiligen Raum ab, in dem es sich gerade befindet. Damit kann ein hervorragendes Kunstwerk seine räumliche Umgebung in einem positiven Sinne verändern. Genau diesen Effekt können Sie in der hier aufgebauten Ausstellung sehr gut beobachten. Zweitens wirkt es darüber hinaus auf den Betrachter ein, der es anschaut und dessen Wahrnehmung der Welt es durch seine Existenz verändert. Und es kann drittens, darauf will ich hinaus, an die anderen Kunstwerke, die sich in seiner Umgebung befinden, etwas von seiner ästhetischen Energie abgeben.

Und deshalb ist es meiner Meinung nach wichtig, daß die besten Künstler dieser Region mit ihren Arbeiten hier teilnehmen, da sie den Schwächeren Kraft und Halt geben und sie in einen wechselseitigen Dialog einbinden, von dem diese herausgefordert und mitgetragen werden. Dieser ästhetische Dialog ist bei einer solchen Gruppenausstellung ein ganz entscheidender Aspekt. Sie läßt sich als ein Forum, als eine öffentliche Plattform begreifen, in der ein Dialog sowohl zwischen den Werken untereinander, den Werken und dem Raum, sowie den Werken und dem Publikum stattfindet. Wenn Sie sich die Ausstellung in Ruhe anschauen, werden Sie diesen Dialog, dieses unsichtbare Netz von ästhetischen Energien ,das die Bilder aufeinander ausstrahlen, auch wirklich sehen können. Dann werden Sie auch sehen, welche Kraft diejenigen Werke haben, die aus einer solchen "inneren Notwendigkeit" heraus entstanden sind, andere in ihrem Dialog mitzuziehen und ihnen auch einen Teil ihrer Ausstrahlung zu verleihen. Aber Sie werden auch sehen können, welche Werke von diesem Energienetz profitieren, welche weniger mit ihrer Umgebung kommunizieren, sondern den Anspruch des Anderen für sich in Beschlag nehmen. Aber dies meine ich nicht negativ, sondern in einem solidarischen Sinne, in dem der Schwächste vom Stärksten oder Berühmtesten in dieser Ausstellung mitgetragen wird.

In diesem Sinne kann ein solches Ausstellungsvorhaben wie die Kreiskulturwoche, die hier zum zweitenmal durchgeführt wird, und von der ich hoffe, daß es sie auch noch viele Male in immer spannenderer Form geben wird, zu einer nicht am Profit oder am Starkult orientierten Plattform für unbekannte, junge Künstler der Region werden, zu einem Experimentierfeld in einer relativ ungewohnten öffentlichen Situation. Sie bietet den Künstlern der Region die Möglichkeit, vor einem einigermaßen wohlwollenden Publikum künstlerische Ansätze zu zeigen, eine gebotene Experimentierplattform zum Ausprobieren kultureller Öffentlichkeit zu nutzen. Man könnte die Wanderausstellung daher als eine Art Transmissionsriemen begreifen, mit deren Hilfe künstlerische Konzeptionen in die Öffentlichkeit gelangen.

Der Landkreis Rhein-Neckar ist groß. 470 000 Einwohner leben hier, also ein potentielles Publikum von fast einer halben Million Menschen. Ich empfinde das als eine Herausforderung, die wir annehmen sollten, um mit unserer künstlerischen Arbeit zu zeigen, was wir in Sachen Kunst gemeinsam und auf demokratische Weise hier in der Region auf die Beine stellen können. In diesem Sinne wünsche ich der Ausstellung auf ihren einzelnen Stationen und auch in Zukunft einen großen Erfolg und eine rege anteilnehmende Öffentlichkeit.
Ich danke ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


1 Die entscheidende Anregung zu diesem Thema verdanke ich faszinierenden Lektüre von Richard Sennett´s Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität, Frankfurt 1986
2 op.cit., S.367
3 op.cit., S.369



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