Hans Dieter Huber
Leerstelle, Unschärfe und Medium


First Installation: 3.10.99 Last Update: 12.02.2001


erschienen in: Stephan Berg/René Hirner/Bernd Schulz (Hg.) Unschärferelation. Fotografie als Dimension der Malerei. Ostfildern-Ruit/Cantz Verlag 2000, S.84-87

Erst die Theorie entscheidet darüber, was man beobachten kann.
Albert Einstein

 

Kurze Skizze des Argumentationsganges

Die Begriffe der Leerstelle und der Unschärfe bezeichnen zwei Konzepte, die von zentraler Bedeutung für jegliche Art von kognitiver Verarbeitung sind. Im folgenden soll eine Begriffsklärung dieser Konzepte vorgenommen werden sowie ihre Anwendbarkeit auf das Medium der Fotografie untersucht werden. Dies bedingt eine Dreiteilung der Aufgabe. Zunächst wird der Begriff der Leerstelle genauer zu klären sein, sodann der Begriff der Unschärfenrelation und schließlich die Frage, inwieweit das Medium Fotografie selbst spezifische Leerstellen und Unschärfen bereithält.

 

Der Begriff der Leerstelle

In den Jahren zwischen 1927 und 1936 hat der polnische Philosoph Roman Ingarden den Begriff der Unbestimmtheitsstelle formuliert.(1) Ingarden unterscheidet dabei das konkrete Erlebnis des Kunstwerks von seinem materiellen Träger. Für Ingarden sind Kunstwerke schematische Gebilde, die selbst nicht vollständig in aller Hinsicht ausformuliert sind, sondern nur in bestimmten Ansichten oder Hinsichten. So zeigt z. B. die Fotografie einer Person, die von der Rückseite aufgenommen wurde, nicht ihr Gesicht. Es bleibt im Gegensatz zu einer realen Person, die sich umdrehen kann oder die der Beobachter umschreiten kann, auf immer und ewig unbestimmt. Das Gesicht bleibt eine Leerstelle. Es kann nur durch durch subjektive Vorstellungen des Betrachters ergänzt werden. Dies ist nur ein sehr einfaches Beispiel für eine Leerstelle. Denkbar sind aber viele verschiedene, auch wesentlich komplexere Arten von Leerstellen, die durch Bilder und speziell durch Fotografien kognitive Irritationen auslösen können.

Heute würde man den Begriff der Leerstelle durch die Begriffe der Selektivität (2) und der Kontingenz (3) ersetzen. Selektivität der Fotografie bedeutet, daß Fotografie aus der unendlichen Mannigfaltigkeit und Komplexität der Wirklichkeit einige wenige Elemente und Relationen auswählt, selegiert und sie in einer mehr oder weniger stabilen Form des Mediums fixiert. Fotografie reduziert also durch ihre hohe Selektivität die Komplexität des Wirklichen auf vom Medium gerade noch verarbeitbare Differenzen. Es gibt ihnen in eine Form. Die Kontingenz der Fotografie bedeutet, dass diese selektive Komplexitätsreduktion, die wir Form nennen, immer auch anders möglich ist, d.h. immer auch anders aussehen könnte.

Dieses Konzept der Leer- oder Unbestimmtheitsstellen ist nun deswegen von Relevanz, da es exakt diejenige Schnittstelle bezeichnet, an der der materielle Träger oder das materielle Objekt -nämlich die Fotografie selbst- in eine kognitive Struktur im Bewußtsein des Beobachters übersetzt wird. Die zahlreichen Stellen von Unbestimmtheit, die eine Fotografie enthält, werden, so Ingarden, durch subjektive Konkretisationen ergänzt und aufgefüllt, die weit über das hinausgehen, was am materiellen Objekt selbst vorhanden ist. Das ist das entscheidende Argument.

Die Leerstellen von Bildern sind also die entscheidenden Auslösemomente oder Konfigurationen, die das kognitive System durch Irritation aktivieren. (4) Sie führen zu kognitiven Konstruktionen des Beobachters, die weit über das am Gegenstand Beobachtbare hinausgehen und zwar in unvorhersehbarer, unkontrollierbarer und nicht vom Gegenstand her abgesicherter Weise. Das bedeutet nun, daß zu der selektiven Unbestimmtheit der Fotografie eine ebenso selektive Unbestimmthait auf seiten des kognitiven Systems des Beobachters tritt. Der Beobachter ergänzt, füllt auf, projiziert, imaginiert. Kurzum, er führt diejenigen Prozesse in seinem kognitiven System durch, die Nelson Goodman als Mechanismen der Zerlegung und Zusammenfügung, der Gewichtung, der Ordnung, der Tilgung und Ergänzung sowie der Deformation beschrieben hat. (5) Die Crux dabei ist, daß man rückwirkend nicht mehr aufdröseln kann, welche Anteile dieser kognitiven Konstruktion lediglich "vorgefunden" wurden und welche vom kognitiven System hinzugefügt, weggenommen oder verändert wurden. Man kann Wirklichkeit nicht dadurch freilegen, daß man Schichten von Kommentar abschält. (6) Die Unschärfen in der Erfahrung von Bildern entstehen also aus einer doppelten Kontingenz von Selektivität und Leerstelle. Unschärfe und Unbestimmheit sind Resultate der Interaktion von Beobachtungsvorgang und Beobachtungsapparat.

 

Die Unschärfe der Beobachtung

In den Jahren zwischen 1925 und 1927 hat Werner Heisenberg nach langen Diskussionen mit Niels Bohr am Institut für theoretische Physik der Universität Kopenhagen das Prinzip der Unschärfenrelation formuliert. (7) Es beschreibt die Konsequenzen aus einem Beobachtungsproblem, das eng mit dem Welle- Teilchen-Dualismus zusammenhängt. Wenn man den Impuls eines Elementarteilchens misst, kann man nicht gleichzeitig seinen Ort bestimmen, da der Meßvorgang selbst diesen Standort beeinflußt und verändert. Bei einer Messung des Impulses ist also der Ort unscharf. Wenn man dagegen den exakten Standort eines Elementarteilchens messen will, kann man nicht mit gleicher Exaktheit seinen Bewegungsimpuls messen, da die Beobachtung des Ortes durch das Meßinstrument den Impuls des Teilchens verändert. (8) In der Heisenbergschen Unschärfenrelation wurde zum erstenmal im 20. Jahrhundert - in einem relativ eng begrenzten Gegenstandsbereich der Quantentheorie- das Problem bewußt, daß der Vorgang der Beobachtung das Resultat der Beobachtung und damit das vermeintliche Aussehen oder Verhalten des beobachteten Gegenstandes beeinflußen kann.

Man kann aber heute, angesichts der Entwicklungen der second order cybernetics und des Radikalen Konstruktivismus unabhängig von der sehr speziellen, auf die Physik zugeschnittene Darstellung der Unschärferelation eine verallgemeinerte Fassung formulieren. Sie lautet, daß jeglicher Vorgang von Beobachtung aufgrund der ontologischen Struktur des verwendeten Beobachtungsapparates den Gegenstand und damit das Resultat der Beobachtung verändert. Es gibt also keine neutrale Beobachtung, die den Beobachtungsgegenstand unverändert hinterliesse. In seiner radikaleren konstruktivistischen Variante, wie sie vor allem von Humberto Maturana und Francisco Varela vertreten worden ist, erzeugt erst der Vorgang der Erklärung den zu erklärenden Gegenstand. (9) Im selben Sinne erzeugt erst die konkrete Beobachtung den zu beobachtenden Gegenstand. Sie konstruiert ihn als den beobachteten Gegenstand. Ohne Beobachtung gibt es daher auch keinen Gegenstand, den man beobachten könnte.

 

Das Medium der Beobachtung

Die Unschärferelation lenkt nun die Aufmerksamkeit auf die Struktur und die Zusammensetzung des jeweiligen Beobachtungsapparates, der sich zwischen Beobachter und zu beobachtendem Gegenstand befindet. Man kann den Beobachtungspapparat ganz allgemein im Sinne einer technischen Struktur oder eines Instrumentariums beschreiben. Aber man kann ihn auch als ein Medium auffassen, mit dessen Hilfe Beobachtungen gemacht werden können, die ohne dieses Medium so nicht vorgenommen werden können. Dieses Argument läuft auf die Feststellung hinaus, daß man prinzipiell nicht ohne Medium beobachten kann. Beobachtung ist immer an ein Medium gebunden. Im Prinzip wusste das schon Aristoteles, als er argumentierte, daß das menschliche Auge nicht vom beobachteten Gegenstand irritiert wird, sondern vom dazwischenliegenden Medium. Unsere Sinnesorgane werden nicht von den Gegenständen und Objekten der Welt zur Aktivität angeregt, sondern nur (!) von dem uns umgebenden Medium. Wie die Welt ohne ein Umgebungsmedium aussieht oder klingt, können wir nicht beobachten und nicht hören.

Man kann das an der Fotografie ganz einfach beobachten. Im Unterschied zwischen Infrarotfilmmaterial, Schwarzweiss-Material oder dem Unterschied zwischen Dia und Papierabzug oder in den spezifischen Differenzen zwischen einem normalen Farbpapierabzug, einem Diasec-Abzug, einem Leuchtkasten oder einem Cibachromeabzug zeigt sich die spezifische Materialität und Konstruktivität des Mediums, die bedingt durch die spezifische Technik des fotografischen Apparates, bestimmte Beobachtungen erst hevorbringt. Erst der fotografische Apparat erzeugt die fotografische Beobachtung. Die Differenzen mögen auf den ersten Blick nicht fundamental erscheinen, aber es wird doch deutlich, daß erst der Apparat bzw. die technische Struktur des Mediums das beobachtbare Resultat, nämlich die Fotografie, hervorbringt. Eine Fotografie ist niemals ohne ein Medium zu beobachten. Sie ist stets und in jedem Moment ihrer Existenz als feste Form an ihr Medium gekoppelt. (10)

 

Das Medium der Fotografie und seine Leerstellen

Fotografie beruht im Prinzip ebensosehr auf einer Struktur der Einblendung wie der Ausblendung. Fotografie macht nicht nur sichtbar, sondern bringt auch zum Verschwinden. (11) Das Medium der Fotografie ist im Prinzip eine Apparatur, die zwischen die Beobachtung der Welt und der Fotografie selbst eingestellt ist. Ohne irgendeine Apparatur zum Fotografieren ist es nicht möglich, zu fotografieren. Das heißt, daß das Medium immer in den Prozeß der Beobachtung, Belichtung, Entwicklung und Vergrößerung aufgrund seiner materiellen Bedingungen interveniert. Das Medium Fotografie erzeugt also durch den Prozeß der technisch-apparativen Beobachtung das beobachtete Objekt, indem es dieses durch den mechanisch-chemischen Vorgang von Belichtung, Entwicklung und Vergrößerung hervorbringt. Unabhängig von einer medialen Apparatur des fotografischen Systems gibt es keine Fotografie, keinen fotografierten Gegenstand und keinen Beobachter, der Fotografien beobachten könnte. Das Medium steht immer notwendigerweise vor dem beoachteten Resultat.

In diesem Sinne sind wir hier mit einer weit radikaleren Konsequenz der Heisenbergschen Unschärfenrelation konfrontiert: daß nämlich der konkrete Vorgang der Beobachtung das Ergebnis der Beobachtung überhaupt erst hervorbringt. Humberto R. Maturana schreibt dazu im Falle von wissenschaftlichen Erklärungen:

Nichts, was außerhalb eines lebenden Systems liegt, kann innerhalb dieses Systems bestimmen, was darin geschieht, und da der Beobachter ein lebendes System ist, kann nichts, was außerhalb des Beobachters liegt, in ihm oder ihr bestimmen, was in ihm oder ihr geschieht. Daraus folgt, daß der Beobachter als lebendes System konstitutiv keine Erklärungen oder Behauptungen aufstellen kann, die irgendetwas unabhängig von den Operationen, durch die er oder sie ihre Erklärungen und Behauptungen erzeugt, offenbaren oder konnotieren. (12)

Genau in diesem Mechanismus liegt der Grund für die prinzipielle Unbestimmtheit und Unschärfe von Fotografie. Sie ist sozusagen eine ontologische Unbestimmtheit und Unbestimmbarkeit. Für das Medium der Fotografie bedeutet das folgendes: Nichts, was außerhalb eines fotografischen Aufnahme- und Wiedergabesystems liegt, kann innerhalb dieses Systems bestimmen, was darin geschieht. Daraus folgt, daß das fotografische Medium keinerlei Beobachtungen ausführen kann, die unabhängig von den spezifischen Bedingungen und Möglichkeiten sind, durch die dieser Apparat seine Beobachtungen erzeugt. In anderen Worten ausgedrückt: Fotografie kann nur nach Maßgabe der eigenen Materialität des Mediums Welt erzeugen, indem es sie mit Hilfe seiner spezifischen Mittel ebenso hervorbringt wie verschwinden läßt.

 

Anmerkungen:

1 Er wurde im Wesentlichen in seiner Hauptschrift Das literarische Kunstwerk (polnische Erstveröffentlichung 1930, deutsche Übersetzung 1960), ferner in Vom Erkennen des literarischen Kunstwerks (polnische Erstveröffentlichung 1936, deutsche Übersetzung 1968) sowie in den Aufsatzsammlungen Untersuchungen zur Ontologie der Kunst. Musikwerk-Bild-Architektur-Film (Tübingen 1962) und Erlebnis, Kunstwerk und Wert. Vorträge zur Ästhetik 1937-1967, Tübingen 1969 formuliert.

Bis heute ist diese Theorie der Unbestimmheit und der kognitiven Konkretisation des Kunstwerks weitgehend unbebachtet geblieben. Selbst in den neuesten Publikationen zu diesem Thema wie Sabine Schmidt: Theorie der sprachlichen Leerstelle und ihre Anwendung auf das Französische. Tübingen1989 oder bei Gerhard Gamm: Flucht aus der Kategorie. Die Positivierung des Unbestimmten als Ausgang der Moderne. Frankfurt/M. 1994 oder Georg Vielmetter: Die Unbestimmtheit des Sozialen. Zur Philosophie der Sozialwissenschaften. Frankfurt/M./New York 1998 findet Roman Ingarden keinerlei Erwähnung.

2 Vgl. hierzu G. Kiss: Selektion, in: Joachim Ritter/ Karlfried Gründer (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 9, Darmstadt 1995, Sp. 564-569 sowie Niklas Luhmann: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt/M. 1984, S. 47: "Komplexität in dem angegebenen Sinne heißt Selektionszwang, Selektionszwang heißt Kontingenz, und Kontingenz heißt Risiko. Jeder komplexe Sachverhalt beruht auf einer Selektion des Relationen zwischen seinen Elementen, die er benutzt, um sich zu konstituieren und zu erhalten. Die Selektion plaziert und qualifiziert die Elemente, obwohl für diese andere Relationierungen möglich wären. Dieses <auch anders möglich sein> bezeichnen wir mit dem traditionsreichen Terminus Kontingenz. Er gibt zugleich den Hinweis auf die Möglichkeit des Verfehlens der günstigsten Formung." " Immer dann, wenn die Zahl der zu verknüpfenden Elemente ein geringes Maß überschreitet, und immer dann, wenn Komplexes in der Form von Sinn erfahren wird, entstehen Selektionsnotwendigkeiten, entsteht eine faktische Selektivität all dessen, was realisiert wird. Es wird, als ob Selektion bewußt oder nicht, eine Auswahl getroffen aus der Gesamtheit von Möglichkeiten der Relationierung bzw. der Verweisungen auf anderes, die im je aktuell gegebenen Sinn angezeigt sind." (S. 187 f.) Die Bedeutung von Variation, Selektion und Restabilisierung für den evolutionären Wandel des Kunstsystems diskutiert Luhmann in Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt/M. 1995, S.360-365.

3 Vgl. zum Begriff der Kontingenz Joachim Ritter/ Karlfried Gründer (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 4, Darmstadt 1976, Sp. 1027-1038 sowie ferner Niklas Luhmann: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt/M. 1984, Kap. 3 sowie Niklas Luhmann: Kontingenz als Eigenwert der modernen Gesellschaft; in: ders.: Beobachtungen der Moderne. Opladen 1992, S.93-128

4 Vgl. zum Begriff der Irritation vgl. Niklas Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt/M. 1997, S.118 f. sowie Niklas Luhmann: Die Behandlung von Irritationen: Abweichung oder Neuheit?; in: Luhmann, Niklas: Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft. Bd. 4, Frankfurt/M. 1995, S.61f.

5 Nelson Goodman: Weisen der Welterzeugung. Frankfurt/M.1984, S. 20-30

6 In diesem Sinne Nelson Goodman: Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie. Frankfurt/M. 1995, S.20

7 Die klassischen Arbeiten hierzu sind: Werner Heisenberg: Über quantentheoretische Umdeutung kinematischerund mechanischer Bewegungen, Zeitschrift für Physik, Bd. 33, 1925/26, S.879-893; Werner Heisenberg: Über den anschaulichen Inhalt der quantentheoretischen Kinematik und Mechanik, Zeitschrift für Physik, Bd. 43, Heft 3/4, 1927, S.172-198 sowie Niels Bohr: Das Quantenpostulat und die neuere Entwicklung der Atomistik, Naturwissenschaften 16, 245, 1928; wiederabgedruckt in: Werner Heisenberg/Niels Bohr: Die Kopenhagener Deutung der Quantentheorie. Stuttgart: Battenberg1963, S.36-61. Eine zusammenfassende Darstellung bietet Heisenbergs Vortrag in Chicago im Frühjahr 1929, publiziert unter dem Titel Die physikalischen Prinzipien der Quantentheorie, Leipzig: S.Hirzel-Verkag 1930. Vgl. hierzu auch die Darstellungen von Armin Herrmann: Die Kopenhagener Deutung der Quantentheorie; in: Werner Heisenberg/Niels Bohr: Die Kopenhagener Deutung der Quantentheorie. Stuttgart: Battenberg1963, S. 63-67 sowie Karl Friedrich von Weizsäcker: Der Aufbau der Physik, München, Wien: Hanser Verlag 1985, S. 489-514

8 So heißt es bei Werner Heisenberg: Über den anschaulichen Inhalt der quantentheoretischen Kinematik und Mechanik, Zeitschrift für Physik, Bd. 43, Heft 3/4, 1927, S.174f.: "Wenn man sich darüber klar werden will, was unter dem Worte >Ort des Gegenstandes<, z. B. des Elektrons (relativ zu einem gegebenen Beugssystem), zu verstehen sei, so muß man bestimmte Experimente angeben, mit deren Hilfe man den >Ort des Elektrons< zu messen gedenkt; anders hat dieses Wort keinen Sinn. An solchen Experimenten, die im Prinzip den >Ort des Elektrons< sogar beliebig genau zu bestimmen gestatten, ist kein Mangel, z.B.: Man beleuchte das Elektron und betrachte es unter einem Mikroskop. Die höchste erreichbare Genauigkeit der Ortsbestimmung ist hier im Wesentlichen durch die Wellenlänge des benutzten Lichtes gegeben. ... Es ist indessen bei dieser Bestimmung ein Nebenumstand wesentlich: der Comptoneffekt. Jede Beobachtung des vom Elektron kommenden Streulichtes setzt einen lichtelektrischen Effekt (im Auge, auf der photographischen Platte, in der Photozelle) voraus, kann also auch so gedeutet werden, daß ein Lichtquant das Elektron trifft, an diesem reflektiert oder gebeugt wird und dann durch die Linsen des Mikroskops nochmal abgelenkt den Photoeffekt auslöst. Im Augenblick der Ortsbestimmung, also dem Augenblick, in dem das Lichtquant vom Elektron abgebeugt wird, verändert das Elektron seinen Impuls unstetig. Diese Änderung ist umso größer, je kleiner die Wellenlänge des benutzten Lichtes, d.h.je genauer die Ortsbestimmung ist. In dem Moment, in dem der Ort des Elektrons bekannt ist, kann daher sein Impuls nur bis auf Größen, die jener unstetigen Änderung entsprechen, bekannt ein; also je genauer der Ort bestimmt ist, desto ungenauer ist der Impuls bekannt und umgekehrt; ... (S.174f.)

"Die Bestimmung der Geschwindigkeit wird umso genauer, je langwelliger das benutzte Licht ist, da dann die Geschwindigkeitsänderung des Teilchens pro Lichtquant durch Comptoneffekt um so geringer wird." (S.177)

Vgl. auch die Schilderung, die Heisenberg über die Entdeckung der Unschärfenrelation in seinem Buch Der Teil und das Ganze. Gespräche im Umkreis der Atomphysik, München: Piper Verlag 1969, S.111-113 gegeben hat.

9 Vgl. Maturana, Humberto H./Varela, Francisco 1987: Der Baum der Erkenntnis. München, S. 34 sowie Humberto Maturana: Ontologie des Beobachtens. Die biologischen Grundlagen des Selbst-Bewußtseins und des physikalischen Bereichs der Existenz; sowie Humberto Maturana: Wissenschaft und Alltagsleben. Die Ontologie wissenschaftlichen Erklärens; beide in: ders.: Biologie der Realität, Frankfurt/M., S.145-225 und S.320-351

10 Niklas Luhmann: Das Medium der Kunst. In: Frederick D. Bunsen "Ohne Titel". Neue Orientierungen in der Kunst. Würzburg 1988, S.61-72

11 Vgl. hierzu Niklas Luhmann: Weltkunst. In: Luhmann, Niklas/ Bunsen, Frederick D./ Baecker, Dirk: Unbeobachtbare Welt. Über Kunst und Architektur. Bielefeld 1990, S.7- 45

12 Humberto Maturana: Biologie der Realität, Frankfurt/M. 1998, S. 322


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