Hans Dieter Huber
Bild, Beobachter, Milieu. Methoden einer systemischen Bildwissenschaft

Vortrag im Rahmen der internationalen Fachkonferenz "Bildwissenschaft zwischen Reflexion und Anwendung, Otto-von- Guericke-Universität Magdeburg

First Upload: 22.9.2003 Last Update: 18.02.2004

1. Aufgaben einer allgemeinen Bildwissenschaft

In meinem Ansatz unterscheide ich drei verschiedene Arten von Bildwissenschaften: eine Allgemeine, eine Spezielle und eine Historische Bildwissenschaft.

Eine Allgemeine Bildwissenschaft unterscheidet sich von einer Speziellen und einer Historischen Bildwissenschaft vor allem dadurch, dass sie weder bestimmte Bildmedien behandelt noch historische Rekonstruktionen vornimmt. Sie bleibt insofern allgemein, als sie eine allgemeine Einführung in das grundlegende Verhältnis zwischen Bildern, Beobachtern und Milieus gibt, ohne auf einzelne Medien oder Werke genauer einzugehen. Insofern ist eine Allgemeine Bildwissenschaft notwendigerweise unhistorisch und unspezifisch. Sie legt dafür die Verhältnisse systematisch dar. Eine Allgemeine Bildwissenschaft argumentiert allgemein und unhistorisch. Sie entwickelt die ontologischen und epistemologischen Grundlagen von Bildern, Beobachtern und Umgebungen auf eine allgemeine, für alle Bildmedien gültige Art und Weise. Sie ist sozusagen die Erkenntnistheorie und die Ontologie des Bildes in einem.

Eine Spezielle Bildwissenschaft argumentiert dagegen nicht allgemein, sondern medienspezifisch, aber ebenfalls unhistorisch. Sie untersucht statt dem Allgemeinen das Besondere an Bildern. Statt gemeinsame Grundlagen herauszuarbeiten, schärft sie den Blick für die spezifischen Differenzen zwischen einzelnen Bildmedien, Beobachtern und Milieus. Sie beschreibt die unterschiedlichen Organisationsweisen und Strukturen verschiedener Bildmedien, die unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten verschiedener Beobachter sowie die verschiedenen Lebensstile und Existenzformen einzelner Beobachtungsmilieus. Statt einer Erkenntnistheorie des Bildes haben wir hier eine spezielle Bildmedienwissenschaft, in der die unterschiedlichen Strukturen und Funktionen der einzelnen Bildmedien in Differenz und Absetzung voneinander behandelt werden. Statt dem Allgemeinen und dem Gemeinsamen wird hier das Besondere und das Verschiedene einzelner Bildmedien, Beobachter und Milieus behandelt, aber auf eine strukturanalytische und damit notwendigerweise unhistorische Art und Weise.

Die dritte Bildwissenschaft wäre eine Historische Bildwissenschaft. Sie würde unter Absehung des Allgemeinen und des Medienspezifischen den Versuch unternehmen, die historische Entwicklung von Bildmedien sowie ihre historische Funktion und ihren historischen Wandel rekonstruieren. Sie wäre im Prinzip eine Erzählung, die von den ersten Elfenbeinschnitzereien aus dem Lonetal und den ersten Wandmalereien der Chauvet-Höhle aus den Jahren um 35.000 bis 30.000 v. Chr. eine Geschichte des Bildes bis zum heutigen Zeitpunkt erzählen würde.

Diese drei Bildwissenschaften sind eine Utopie. Es handelt sich um analytische Unterscheidungen, die in ihrer Reinform wahrscheinlich so niemals existieren werden. Viel realistischer sind Mischformen.

2. Ziele einer systemischen Bildwissenschaft

Die Ziele einer systemischen Bildwissenschaft liegt im Beschreiben, Interpretieren, Vermitteln und Verstehen der spezifisch ästhetischen, sozialen und historischen Funktionsweisen von Bildern oder Bildmedien in unserer Gesellschaft. Dazu ist eine Ausbildung spezifischer "Bildlesekompetenzen" notwendig.

3. Die Trilogie von Bild, Beobachter und Milieu

Systemische Bildwissenschaft geht von einer irreduziblen Trilogie zwischen einem Bild, einem Beobachter und einem spezifischen Milieu aus, in welches beide eingebettet sind. Die systematischen Verhältnisse sind hier in eine anschauliche Darstellung gebracht worden.
Hans Dieter Huber: Der trilogische Raum von Bild, Beobachter und Milieu: Schnitt durch den Äquator, 2003
 

a) Ein Beobachten von Bildern ohne Beobachter ist nicht möglich.

Systemische Bildwissenschaft geht davon aus, dass eine Beobachtung von Bildern ohne einen konkreten und bestimmten Beobachter nicht möglich ist. Dieser Beobachter kann ein lebender Organismus, aber auch eine Maschine sein (z.B. ein intelligenter Agent).
 
Hans Dieter Huber: Betrachterin vor Eduard Manet, Mannheimer Kunsthalle, 1990 Hans Dieter Huber: Betrachterin vor Auguste Rodin, Mannheimer Kunsthalle, 1990
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

b) Bild und Beobachter sind beide in spezifische Milieus einbettet.

Diese Bestimmung ist insofern von Bedeutung, als hier erstens das Verhältnis zwischen Bildern und ihren ästhetischen, sozialen, institutionellen, ökonomischen, politischen und kulturellen Milieus beschrieben werden kann, als auch zweitens das Verhältnis zwischen den Beobachtern und ihren sozialen Milieus genauer untersucht werden kann. Löst man ein Bild in der Interpretation aus seinem spezifischen Milieu heraus, führt dies zu einer isolierten und formalästhetischen Interpretation, welche Interpretationsartefakte erzeugt, d.h. unter Umständen falsche Ergebnisse bringt.

Thomas Struth: Uffizien I, 1989 Theodor Hetzer: Aufsätze und Vorträge, Bd.1, Leipzig: Seemann Verlag 1957, Abb. 35 und Abb. 36
 

c) Bild und Beobachter sind zum Zeitpunkt ihrer Begegnung immer in das selbe Milieu einbettet.

Es gibt keine Möglichkeit, dass sich Bild und Beobachter, wenn sie sich begegnen, in zwei verschiedenen Milieus befinden. Diese Tatsache ist von Bedeutung, da das Milieu voreinstellende und verhaltenskalibrierende Wirkungen auf den Beobachter hat. Zum Beispiel stellt es ihn darauf ein, was er in diesem Milieu höchstwahrscheinlich für Bilder zu erwarten hat, wie er sich diesen Bildern angemessen zu verhalten hat, wie er ihre ästhetische, soziale oder historische Funktion zu verstehen hat, was als eine angemessene und adäquate Form des Handelns und Reagierens gegenüber diesen Bildern gilt. (Beispiel: Bilder in Kirchen, Bilder in Museen, Bilder im Fernsehen)

Man kann keines dieser drei Bestimmungstücke aus einer systemischen Bildwissenschaft entfernen oder eines der drei Elemente auf die anderen zwei reduzieren. Ohne Bilder gibt es keine Bildwahrnehmung, ohne Beobachter gibt es keine Beobachtung, und ohne ein umgebendes Milieu gibt es keine Situation, in der sich ein Bild und ein Beobachter jemals begegnen könnten. Diese Trilogie ist also grundlegend, sie ist fundamental und nicht weiter reduzierbar. Sie stellt die Ausgangssituation dar.

Wenn man die Ausgangssituation der Trilogie räumlich erweitert, erhält man eine dreidimensionale Kugel, die den Möglichkeitsraum der Bildwissenschaft repräsentiert.

Hans Dieter Huber: Trilogischer Kugelraum einer systemischen Bildwissenschaft, 2003 Hans Dieter Huber: Senkrechter Schnitt durch den Kugelraum der Bildwissenschaft, 2003

 

3. Systemdefinitionen

Wie das Adjektiv systemisch zum Ausdruck bringt, wird die Gesamtsituation, in der sich die Begegnung von Beobachtern mit Bildern in einem speziellen Milieu ereignet, als ein soziales System verstanden. Aber auch das Bild wird als ein System verstanden, und der Beobachter wird als ein lebendes, sich selbst reproduzierendes System verstanden. Das Milieu wird dagegen als Umwelt aufgefaßt.

Wir erhalten also in der systemischen Bildwissenschaft drei verschiedene Systemdefinitionen:

a) Das Bild als ein System

b) Der Beobachter als ein System

c) Die Gesamtsituation als ein soziales System

Als eine erste, allgemeine Systemdefinition möchte ich folgende Definition begreifen:

Ein System besteht aus Einheiten, die in wechselseitiger Interaktion miteinander stehen. Was als eine Einheit in einem System betrachtet wird, ist Resultat der Unterscheidung und Bezeichnung eines Beobachters. Wenn die innere Struktur und Funktionsweise der Einheit in einem System nicht von Interesse ist, kann man diese Einheit als ein geschlossenes Element, als black box, mit Input- und Output-Beziehungen behandeln. Man kann als Beobachter also seinen blick entweder in das Innere einer Einheit richten, oder auf die wechselseitigen Interaktionen zwischen zwei solchen Einheiten. Es interessiert dann nur die Beschreibung ihrer Interaktionen mit anderen Einheiten eines Systems. Die Grenze eines Systems ist ebenfalls das Resultat der Unterscheidung und Bezeichnung eines Beobachters.

Von dieser allgemeinen Systemdefinition kann man nun jeweils spezifischere Definitionen für Bilder, für Beobachter und für die Gesamtsituation ableiten.

a) Was heißt es, dass Bilder Systeme sind?

Man kann durchaus von Bildern als Systemen sprechen. Es kommt lediglich darauf an, welches man als seine grundlegenden Einheiten betrachtet.

Paolo Veronese: Graugrün, Bleiweiss, Realgar Paolo Veronese: Detail Bildliche Darstellung Veronese: Detail Anbetung der Könige, Vicenza, St. Corona, 1578

 

Es bietet sich an, bei Bildern drei verschiedene Systemebenen von einander zu unterscheiden:
- den materiellen Bildträger: Hier bestehen die Einheiten eines Bildsystems bei traditionellen Bildmedien aus Pigmenten, Bindemitteln und Trägermaterialien wie Papier, Holz, Leinwand, Mauerwerk, etc. In den Neuen Medien können hier auch komplexere materielle Bildträger wie Monitore, Beamer, Computer, usw. auftreten.

- Die zweite wichtige Systemebene eines Bildes ist die Ebene der bildhaften Darstellung. Sie ist uns nur nur in reiner Sichtbarkeit zugänglich und durch keinen anderen Sinn. Hier lassen sich als die relevanten Einheiten Formen, Farben oder Formate unterscheiden.

b) Der Beobachter als ein lebendes System

Hier folge ich in meiner Auffassung im Wesentlichen der Autopoiesis-Theorie Humberto Maturanas. Für mich sind Beobachter operational weitgehend geschlossene Systeme, die sich in einem spezifischen Milieu mit Hilfe ständiger autopoietischer Reproduktion begegnen. Sie sind durch spezielle strukturelle Kopplungen in ihr jeweiliges Milieu eingebettet, aus dem sie einerseits eine Support beziehen, auf das sie andererseits auch wiederum durch ihr Verhalten aktiv einwirken.


- Auf der Ebene des Dargestellten haben wir es mit Begriffen zu tun. Das Dargestellte ist ein System aus Begriffen, die ein Beobachter mit Hilfe seiner gesamten Wahrnehmungen, Vorstellungen, Assoziationen, Erinnerungen, Gefühlen, seines Denkens und Handeln konstruiert hat. Man kann dieses, im Beobachter entstehende System von Gedanken auch als ein semantisches Netz bezeichnen. Die entscheidende Schnittstellen für den Übergang von einem an der Wand befindlichen materiellen Bild in die Mentalität eines Beobachters stellen die zahlreichen Stellen von Unbestimmtheit in einem Bilde dar. Denn es ist nicht alles in einem Bilde dargestellt, was in der Wirklichkeit durch aktives, exploratives Verhalten und Handeln zusätzlich bestimmt werden könnte. Dem in einem Bild Dargestellten können wir uns jedoch nicht nähern, da es überhaupt nicht anwesend ist und nur in reiner Sichtbarkeit überhaupt sinnlich erfahrbar. Hier treten die Vermögen der bildhaften Vorstellung, der Phantasie, der Einbildungskraft in ihre Funktion. Der Beobachter projiziert aus sich heraus in diese Leerstellen hinein und füllt sie auf subjektive, von der bildlichen Darstellung überhaupt nicht gedeckte Weise. Ein Beispiel:

Stephen Shore: U.S. Route 10, Post Falls, Idaho, August 25, 1974
 

Ich zeige Ihnen eine Fotografie, in der zahlreiche Leerstellen existieren, die den Beobachter irritieren, da sie von Alltagssituationen extrem abweichen. In einer realen Situation vor Ort würden wir wahrscheinlich alle als nächstes nach hinten links zu dem Gebäude gehen und nachsehen, wo die Personen geblieben sind. Dies ist aber vor der Fotografie nicht möglich. Der Rahmen des Geschehens bleibt ebenso ausgeblendet, wie das Handlungsmoment vollkommen unklar ist. Es ist unentscheidbar, ob gerade abgeladen oder aufgeladen wird. Was wird auf- oder abgeladen? "Select Fruit"? Tomaten, Ananas, oder Äpfel? Was ist mit den drei links stehenden leeren Holzkisten? Wieso ist die Beifahrertüre des PKWs ebenso geöffnet wie die Beifahrertüre des linken Vans und die Eingangstüre des Gebäudes? Wieso heißt die Station ausgerechnet "The Falls", wie der gleichnamige Kultfilm von Peter Greenaway aus dem Jahr 1980, in dem es um 92 Fälle von Personen mit absurden Schicksalen, schlimmen Erkrankungen und unerklärbaren Symptomen geht, die eines gemeinsam haben, daß sie nämlich alle mit ihrem Familiennamen "Fall" heissen. Ist dort irgendein schlimmes Unglück geschehen oder einfach nur Mittagspause? Sie sehen, daß man diesem Bild ziemlich viele Fragen stellen kann, ohne auch nur eine einzige verläßliche Antwort zu erhalten. Es sei denn, man entscheidet sich als Beobachter für irgendeine Variante. Worst Case Scenario oder harmlose Mittagspause, das sind die beiden hier zur Verfügung stehenden Extremvarianten. Dann wird die irritierende Unsicherheit zwar momentan in Sicherheit überführt, die aber aufgrund möglicher Zweifel an der Entscheidung wiederum die grundlegende Unsicherheit regenerieren können. Der Beobachter projiziert also seine bewussten und unbewussten Phantasien und Ängste auf das Bild und hält das Ergebnis seiner Projektionstätigkeit dann für die Bedeutung des Bildes. Man findet diesen Projektionsmechanismus bis in höchste Wissenschaftlerkreise hinein, ohne dass er oftmals als solcher bewusst wäre.

c) Der Begriff des Milieus

Es hat im 20. Jahrhundert eine weitverzweigte Diskussion darüber gegeben, was alles zu einem Milieu zählt. Dabei wurde der Begriff einerseits sehr ausgeweitet, auf der anderen Seite aber auch zu sehr eingeschränkt. So definiert etwa Brockhaus sehr umfassend:

Ein Milieu umfasst die Gesamtheit der natürlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Gegebenheiten, die auf einen Menschen, eine Schicht oder eine soziale Gruppe einwirken. Das Milieu beeinflusst maßgeblich die Erfahrungen und damit zugleich die Art und Weise des Denkens, Wertens und Entscheidens. (Brockhaus. Die Enzyklopädie in 24 Bänden. 20. Aufl. Bd. 14, Leipzig, Mannheim 1994, S. 645)

Ein wichtige Unterscheidung ist etwa die zwischen wirksamem und erlebtem Milieu. Entweder ist beides Milieu oder nur das erlebte Milieu ist ein Milieu, das wirksame ist nur Umwelt. So definiert z.B. Max Scheler:

Es mag vielerlei objektiv auf mich „wirken“ – z.B. elektrische und magnetische Ströme, Strahlen aller Art, die ich nicht empfinde usw. -, was sicher nicht zu meinem „Milieu“ gehört; so wenig wie, was ich ererbt habe, zu meiner „Tradition“ gehört. Nur das auf mich als wirksam Erlebte gehört dazu. „Milieu“ ist also nur das, was ich als „wirksam“ erlebe. (Scheler 1966, S. 153f. [Hervorhebungen im Original]) Es ist also sinnvoll, ein Außen des Milieus zu konzipieren, das selbst nicht Milieu ist, das aber auf dieses Milieu und seine interne strukturelle Dynamik einwirken kann. Dieses außen von Milieus bezeichne ich als äußere Umwelt. In ihr sind alle natürlichen, physischen und wirksamen Einflüsse, das was Willy Hellpach die geopsychischen Erscheinungen genannt hat, aufgehoben.

Ein Milieu ist in meiner Definition nach vielmehr ein bestimmter Ausschnitt oder ein spezieller Bereich Bereich aus der gesamten Umwelt eines Beobachters. Ein Milieu besitzt eine unscharfe Grenzzone und damit auch ein Außen, das nicht Milieu ist und auf dieses und seine Individuen einwirkt. Dieser Ausschnitt zeichnet sich durch die Entwicklung ähnlicher Existenzformen und Lebensstile aus (Gerhard Schulze 1992). Er definiert soziale Milieus als Personengruppen, die sich durch gruppenspezifische Existenzformen und erhöhte Binnenkommunikation voneinander abheben. (S.174) Milieus zeichnen sich also durch eine höhere Konnektivität ihrer Existenz- und Kommunikationsformen aus.

 

Hans Dieter Huber: Skizze des Verhältnisses zwischen Bild, Beobachter, Milieu und äußerer Umwelt, 2003

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, spezifische Milieus und ihre eigenen Stile und Lebensformen voneinander zu unterscheiden. Am einfachsten erscheint es, eine dreidimensionale Matrix verschiedener Milieucodierungen anzusetzen, in welche sich die verschiedenen Exemplare einordnen lassen.

Hans Dieter Huber: Dreidimensionale Matrix verschiedener Milieus, 2003

 

Es zeigt sich nun, dass man eine erste Grobkategorisierung hinsichtlich der binären Codierungen sakral/profan, privat/öffentlich und individuell/gesellschaftlich mit ihren jeweils korrespondierenden Habiti und Stilen vornehmen kann. Aus dieser Matrix ergeben sich sechs extreme Milieutypen, zwischen denen verschiedene flexible und variable Übergangsformen existieren.

 

sakrales Milieu: Kirche privates Milieu: Zeitschrift lesen individuelles Milieu: Privatwohnung
profanes Milieu: Museumsshop öffentliches Milieu: Museum gesellschaftliches Milieu: Lady Di auf der Biennale in Venedig

 

4. Bildungsaufgaben einer systemischen Bildwissenschaft

Die Ausbildung dieser Kompetenzen zur Bildproduktion und Bildrezeption in Kindergarten, Schule, Hochschule und außerschulischer Erwachsenenbildung stellt ein wichtiges Bildungsziel systemsicher Bildwissenschaft dar. Die Mitglieder unserer Gesellschaft müssen dringend zur einem kritischen, selbstbewussten und reflektierten Umgang in der Produktion und Rezeption von Bildern und Bildmedien ausgebildet werden. Wir leisten uns in unserer Gesellschaft eine folgenschwere Unterschätzung der bildhaften, visuellen und sinnlichen Weltzugänge. Mathematisch-naturwissenschaftliche und sprachlich-diskursive Weltzugänge werden in der Bildungssituation nach PISA eindeutig bevorzugt. Dies stellt einen Rückfall in einen reduktiven Materialismus dar, in dem nichts gilt, was kein Naturgesetz ist. Mit dieser einseitigen Ausrichtung unserer Ausbildung auf Sprache und Logik fallen wir in die 50er Jahre, in den Kalten Krieg der Ausbildungssysteme, zurück. Dies kommt einer einseitigen Akzentsetzung bestimmter menschlicher Fähigkeiten gleich, die den grundlegenden fundamentalen und existentiellen bildhaften Zugang zur Welt, den wir besitzen und den wir mit den Begriffen der Phantasie, der Imagination und des bildhaften Vorstellungsvermögens umschreiben. Wir leisten uns in Deutschland ein visuelles Analphabetentum in einem Ausmass wie eine Bananenrepublik der Dritten Welt. Das einzige Fach, welches sich diesen grundlegend bildhaften Weltzugängen in der Schule stellt, ist die Kunstpädagogik. Für dieses Fach müssen Unterichtsmodule und didaktische Ansätze zur Entwicklung einer kritischen, emanzipierten Bildlesekompetenz entwickelt werden.