Hans Dieter Huber
Crash Test Dummies oder Die Philosophie des Wartens?: www.antworten.de

First installation: 05.12.98 Last Update: 14.12.99

erschienen in: Institut für moderne Kunst Nürnberg (Hg.): netz.kunst. Jahrbuch '98/99, Nürnberg: Verlag für Moderne Kunst, S.40-41

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wenn man http://www.antworten.de anwählt, landet man auf einer schwarzen Seite z. B. mit folgendem Text: "Sie haben Nummer 71, zur Zeit wird gerade Nummer 63 bedient. Bitte gedulden Sie sich ein wenig." Parallel dazu wird eine Endlosschleife mit nichtssagender Dudelmusik, wie man sie aus besetzten Telefonleitungen einer Firma kennt, abgespielt. Nach 100 Sekunden erscheint im unteren Teil des Bildschirmes der Satz: "Wollen Sie etwas lesen oder etwas schreiben während sie warten?" Klickt man auf "Lesen" erscheinen die Zugriffsstatistiken auf die Seite seit dem 31.5.97. Bei einem Klick auf "Schreiben" öffnet sich ein e-mail Fenster und man kann eine Nachricht an fragen@antworten.de senden. Nach drei Minuten wird die nächsthöhere Wartenummer aufgerufen. Man kann sich etwa ausrechnen, wann man drankommt. 7x3=21 Minuten Wartezeit. Geht man aber nach 21 Minuten Wartezeit wieder zurück auf www.antworten.de wird dem User mitgeteilt: "Sie sind leider zuspät, Ihre alte Nummer war 71, Ihre neue Nummer ist 78." So ein Mist, dumm gelaufen.
Soviel zur Oberfläche der Arbeit. Sie erweckt den Anschein, eine superdumme Idee zu sein und den User mit seiner Kalauermentalität zu langweilen.

 

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Im Untergrund dagegen geht es hoch interessant zu. Beim Zugriff auf antworten wird mittels eines CGI-Scriptes die aktuelle Nummer ausgelesen und die entsprechenden Grafiken für die Ziffern angezeigt. In der Zwischenzeit erhält der USER beim erstmaligen Aufruf der Seite heimlich einen Cookie mit seiner Wartenummer in den ... seines Browsers geladen. Er hat eine Verfallszeit von 8 Stunden. Ferner wird überprüft, ob de User schon einen Cookie hat, also die Seite erneut aufruft. Falls seine Cookie-Nummer einen höheren Wert als die gerade bearbeitete Wartenummer hat, wird sie ganz normal angezeigt. Falls sie niederiger ist, wird dem Besucher ein neues Cookie übermittelt und ihm damit eine neue Wartenummer zugewiesen, da er seine Zugangsmöglichkeit verpasst hat. Sind die beiden Zahlen gleich, wird die aktuelle Zahl um eins erhöht und dem Besucher auch ein neues Cookie übermittelt. Der eigentliche Gehalt der Arbeit spielt sich aber als unsichtbares, maschinelles Konstrukt unterhalb der Ebene der Wahrnehmungsbreite ab.

 

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antworten sieht zunächst so aus, als wäre es ein personalisiertes Wartesystem wie beim Arzt für öffentliche Ordnung, beim Zahnarzt oder beim Metzger. Dabei muß man hinzufügen, daß diese Wartenummernsysteme ihren Hype Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre hatten und seitdem wieder zunehmend im Verschwinden begriffen sind. Der Hintergedanke ist allerdings, daß man nie dran kommt. Es gibt keine Antwort. Es gibt nur das Warten, bis man seinen Anruf verpaßt hat. Die Arbeit täuscht also etwas vor, was sie gar nicht ist. Sie ist eine Arbeit über Zeit, Warten, Geduld, Glauben und Ausdauer. Ein Typ aus Mailand produziert 400 hits pro Tag auf diese Seite. Ein User sendet die Frage: "Dauerts noch lange?" Wittgenstein schreibt: "Daß die Frage nach dem Sinn des Lebens ihre Antwort gefunden hat, merkt man am Verschwinden der Frage." Mit dem positiven Begriff "Antworten" wird eine Erwartungshaltung des Users aufgebaut (Niklas Luhmann: Vertrauen als riskante Vorleistung). Glaubt der User an das vermeintliche Versprechen, Antworten zu erhalten, akzeptiert er vielleicht leichter die Wartezeit, bis er dran zu kommen glaubt. Eigentlich müßte die Seite www.warten.de heißen. So ist sie bei www.yahoo.de in der Kategorie "Nutzlose Seiten" unter dem Begriff "Bitte warten!" abgelegt.

 

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Eine kathartische Erkenntnis liefert antworten erst dann, wenn das Geheimnis gelüftet wird, daß man von einem automatisierten Maschinenskript gefoppt wurde und nichts, aber auch gar nichts dahinter steckt. Diese Einsicht ist bitter. Sie trifft den wunden Punkt der eigenen Souveränität. Es wird deutlich, daß man diese Systeme nicht mehr durchschaut, kein Wahrnehmungsorgan für ihre Tücken und Täuschungen besitzt. Ent-Täuschung im positiven Sinne als Aufhebung von Täuschung ist die Form der Erfahrung dieses Werkes. Damit ist eine, wie ich finde, völlig neue Form der Kunsterfahrung angesprochen. Es geht um "faked identities", um Vortäuschung, Irreführung und Desinformation. Eine antiaufklärerische Haltung der Künstler scheint hier durch. Sie wirkt auf den ersten Blick zynisch. Auf den zweiten Blick wirkt die angeblich antiaufklärerische Haltung dann doch wieder aufklärerisch, weil sie den Menschen, die Glauben und Vertrauen in das System haben, die Täuschung nimmt. Das schmerzt und tut weh. In einem dekonstruktiven Akt zeigen Holger Friese und Max Kossatz, daß blinder Glauben und hingabevolles Vertrauen an die elektronischen Netze einen bedeutungslosen Test Dummy der CGI-Skripte am Bildschirm hinterläßt. Damit besitzt diese Arbeit kritisches Potential, das schmerzt, weil es den Finger in eine empfindliche Wunde der eigenen Identität legt und ihrer Verarschung durch die elektronischen Netze.


 

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