erschienen in: Über Skulptur [Six Pack]. Ausst. Kat. Württembergischer Kunstverein Stuttgart 15. Dez. 1994 - 15. Januar 1995, o.S.
H.D. Huber: Du
hast Arbeiten gemacht, in denen du einen Obstbaum in gleich lange
Teile zersägt, und nach der Größe gestapelt hast.
Was war für dich der Punkt, so vorzugehen?
D. Bräg: Damals ging es es noch darum, eine Skulptur
zu schaffen, die in sich konsequent war. Ein ganzer Baum, der
einen Anfang und ein Ende hatte, aufgeschichtet als Skulptur,
die wiederum ein Ganzes bildete. Wir nehmen Natur in erster Linie
als Form wahr, als Pflanze, als Wald. Je mehr ich mich mit Obstbäumen
beschäftigte, desto mehr entstand der Gedanke, einen eigenen
Obstgarten anzulegen. Es soll ein öffentlicher Garten entstehen,
aber auch, eine Grundlage gebildet werden für meine weitere
Arbeit. Daraus entstand das Herbarium Rosales, eine Sammlung
gepreßter Obstbäume.
H.D. Huber: Um was ging es dir bei dieser Arbeit?
D. Bräg: Herbarien haben eine sehr alte Tradition,
begonnen durch Mönche, die die ersten Sammlungen anlegten.
In Herbarium erscheinen die Pflanzen als Untersuchungsobjekte.
Ich fixierte ganze Obstbäume samt Wurzel zwischen Glasplatten
und hängte sie freischwebend, wie ein Garten in den Raum.
H.D. Huber: Was hat dich daran gereizt, dies in der heutigen
Zeit zu tun?
D. Bräg: Dieser seltsame Naturbegriff, den es heute
gibt. Zum einen der naturwissenschaftliche Blick, zum anderen
der Blick, daß früher alles besser war, als man noch
ohne Technik auskam, wo das Kompott selbst gemacht wurde, ich
nenne es mal das naive Bild von Natur.
H.D. Huber: Die gute alte Zeit.
D. Bräg: Ja genau: Die es gar nie gab.
H.D. Huber: Du hast von zwei verschiedenen Naturbegriffen
gesprochen. Vom naturwissenschaftlichen und vom naiven Bild. Ich
frage mich, was ist eigentlich der Naturbegriff heute?
D. Bräg: Der Naturbegriff hat immer mit Kultur zu
tun. Alles was wir kennen, woraus wir diesen Naturbegriff bilden,
ist Kultur. Es gibt keine unberührte eigentliche Natur mehr,
auch nicht das naive Bild.
H.D. Huber: Also, wir sagen, Natur ist Kultur?
D. Bräg: Ja, immer.
H.D. Huber: Du hast in diesem Garten in Villingen-Schwenningen,
den du mit deiner Frau zusammen angelegt hast, die Naturkultur
mit der Friedhofskultur in Überblendung gebracht. Was war
für euch ein Motiv, das übereinander zu schichten oder
miteinander in Kontakt zu bringen?
D. Bräg: Es herrscht sehr viel Ähnlichkeit zwischen
einem klassischen Garten, wie er in der Bibel beschrieben wird,
mit Bäumen, Wasser und einem Zaun außen herum, und
unseren Friedhöfen. Städtische Anlagen und Friedhöfe
werden heute exakt gleich bepflanzt. Eine Verkehrsinsel hat dieselben
Blumen, genau gleich angelegt, wie ein Grab. Wir haben uns gefragt,
was passiert, wenn man in einen Garten eine Bank reinstellt, einen
Abfallkorb, einen Brunnen anlegt, einen Kiesweg anlegt, Lorbeerbäume
aufstellt, eine Ordnung aushängt, Schilder aufstellt und
dann den Garten in Abteilungen unterteilt: Es beginnt zu kippen!
H.D. Huber: Die Arbeit in Villingen-Schwenningen enthält
ja auch ein gehöriges Maß an Ironie, an schwarzem Humor.
D. Bräg: Fast sarkastisch, wenn man eine Friedhofsordnung
als Einladung verschickt mit dem Titel: Die Ruhezeit ist beendet.
H.D. Huber: Was ist dir an der Ironie wichtig?
D. Bräg: Die Infragestellung! Es gibt immer zwei Ansichten:
Wie wird normalerweise mit Dingen umgegangen? Wie geht ein Obstbauer
mit Obstbäumen um, eine Hausfrau mit Früchten? Sie kauft
sie, macht Kuchen oder kocht sie ein. Ein anderer macht Schnaps
daraus. Wie geht ein Biologe damit um? Der legt wieder Sammlungen
an, Herbarien, katalogisiert, beschreibt, sucht Fundorte festzuhalten.
H.D. Huber: Es ist auch noch eine andere Umgangsweise,
wie der Künstler damit umgeht.
D. Bräg: Ja, ich bin der, der untersucht, wie man
untersucht. Jeder auf seine Weise, spezifisch. Der Künstler
untersucht genauso, doch ohne oder mit anderem Ergebnis. Es entsteht
eine Farce, die Ironie, in dem einer einen Pomologen mimt und
doch keiner ist, eine Hausfrau mimt und doch keine ist, einen
Waldarbeiter usw.... Die Leute erwarten ein Bild, es ähnelt
ihm und ist doch nicht wahrhaftig. Es ist eine Attrappe eines
Obstgartens, eine Attrappe eines Herbariums. Kultur ist so verformt,
wie wir sie verformt haben, nur noch eine Naturattrappe.
H.D. Huber: Ironie ist also für dich ein Hilfsmittel,
sowohl die eigene künstlerische Arbeit als auch die Situation
des Kunstmuseums kritisch zu befragen. Ironie muß man aber
erkennen. Ich könnte mir daher vorstellen, daß manche
Besucher gar nicht registrieren, daß das ironisch gemeint
ist, sondern die Arbeit wörtlich nehmen. Wie gehst du damit
um, wenn sie dich sozusagen in die Ecke des Ökokünstlers
stecken?
D. Bräg: Die Ironie kann man nicht erklären;
sie steckt in meiner Arbeit. Entweder das spürt der Betrachter
oder nicht. Ich kann nur erklären, daß ich nicht dieser
Ökokünstler bin, überhaupt nicht..
H.D. Huber: Du gehst jetzt für ein Jahr nach
Japan. Japan ist bekannt dafür, daß dort die Natur
als die Kultur schlechthin gesehen wird dort ein ganz anderes
Naturverständnis herrscht als bei uns in Europa. War das
ein für dich, nach Japan zu gehen?
D.Bräg: Ja. Dort hat sich eine Kultur aus ganz anderen
Begriffen entwickelt. Andererseits z. B. die Gärten ähnliche
Formen. Der Aufbau eines traditionellen Gartens ist der gleiche:
Bäume, Wasser, Zaun. Aber es bedeutet jeweils etwas anderes.
Bei uns ist der Zaun eine Abgrenzung. In Japan bedeutet es die
Verbindung von Innen nach Außen. Mich interessiert, wie
man in einer vollkommen anderen KuItur an denselben Sachen arbeitet.
Ich möchte sehen, was meine Künstlergeneration dort
mit dem Naturbegriff, mit der Gartenkultur macht.
H.D. Huber: Könntest du dir vorstellen, daß
es deinen Blick für die eigene Situation in Deutschland
schärft?
D.Bräg: Auf jeden Fall. Wenn ich aus meinen eigenen
Umräumen herausgelöst bin, aus meinem System, werde
ich, wenn ich zurückkomme, sehen, was hier eigentlich der
Fall ist. Es wird kein Vergleich stattfinden können, kein
Vermischen. Darum wird umso deutlicher werden, daß der Einzelne
zu einem Ganzen gehört.
H.D. Huber: Dann müssen wir unser Gespräch fortsetzen,
wenn du aus Japan zurück bist.
D. Bräg: Genau.
Das Gespräch führte Hans Dieter Huber mit Daniel Bräg im Oktober 1994