Hans Dieter Huber
Interview mit Daniel Bräg


First Installation: 31.1.2002 Last Update: 04.02.2002


erschienen in: Über Skulptur [Six Pack]. Ausst. Kat. Württembergischer Kunstverein Stuttgart 15. Dez. 1994 - 15. Januar 1995, o.S.

H.D. Huber: Du hast Arbeiten gemacht, in denen du einen Obstbaum in gleich lange Teile zersägt, und nach der Größe gestapelt hast. Was war für dich der Punkt, so vorzugehen?
D. Bräg: Damals ging es es noch darum, eine Skulptur zu schaffen, die in sich konsequent war. Ein ganzer Baum, der einen Anfang und ein Ende hatte, aufgeschichtet als Skulptur, die wiederum ein Ganzes bildete. Wir nehmen Natur in erster Linie als Form wahr, als Pflanze, als Wald. Je mehr ich mich mit Obstbäumen beschäftigte, desto mehr entstand der Gedanke, einen eigenen Obstgarten anzulegen. Es soll ein öffentlicher Garten entstehen, aber auch, eine Grundlage gebildet werden für meine weitere Arbeit. Daraus entstand das Herbarium Rosales, eine Sammlung gepreßter Obstbäume.
H.D. Huber: Um was ging es dir bei dieser Arbeit?
D. Bräg: Herbarien haben eine sehr alte Tradition, begonnen durch Mönche, die die ersten Sammlungen anlegten. In Herbarium erscheinen die Pflanzen als Untersuchungsobjekte. Ich fixierte ganze Obstbäume samt Wurzel zwischen Glasplatten und hängte sie freischwebend, wie ein Garten in den Raum.
H.D. Huber: Was hat dich daran gereizt, dies in der heutigen Zeit zu tun?
D. Bräg: Dieser seltsame Naturbegriff, den es heute gibt. Zum einen der naturwissenschaftliche Blick, zum anderen der Blick, daß früher alles besser war, als man noch ohne Technik auskam, wo das Kompott selbst gemacht wurde, ich nenne es mal das naive Bild von Natur.
H.D. Huber: Die gute alte Zeit.
D. Bräg: Ja genau: Die es gar nie gab.
H.D. Huber:
Du hast von zwei verschiedenen Naturbegriffen gesprochen. Vom naturwissenschaftlichen und vom naiven Bild. Ich frage mich, was ist eigentlich der Naturbegriff heute?
D. Bräg: Der Naturbegriff hat immer mit Kultur zu tun. Alles was wir kennen, woraus wir diesen Naturbegriff bilden, ist Kultur. Es gibt keine unberührte eigentliche Natur mehr, auch nicht das naive Bild.
H.D. Huber: Also, wir sagen, Natur ist Kultur?
D. Bräg: Ja, immer.
H.D. Huber: Du hast in diesem Garten in Villingen-Schwenningen, den du mit deiner Frau zusammen angelegt hast, die Naturkultur mit der Friedhofskultur in Überblendung gebracht. Was war für euch ein Motiv, das übereinander zu schichten oder miteinander in Kontakt zu bringen?
D. Bräg: Es herrscht sehr viel Ähnlichkeit zwischen einem klassischen Garten, wie er in der Bibel beschrieben wird, mit Bäumen, Wasser und einem Zaun außen herum, und unseren Friedhöfen. Städtische Anlagen und Friedhöfe werden heute exakt gleich bepflanzt. Eine Verkehrsinsel hat dieselben Blumen, genau gleich angelegt, wie ein Grab. Wir haben uns gefragt, was passiert, wenn man in einen Garten eine Bank reinstellt, einen Abfallkorb, einen Brunnen anlegt, einen Kiesweg anlegt, Lorbeerbäume aufstellt, eine Ordnung aushängt, Schilder aufstellt und dann den Garten in Abteilungen unterteilt: Es beginnt zu kippen!
H.D. Huber: Die Arbeit in Villingen-Schwenningen enthält ja auch ein gehöriges Maß an Ironie, an schwarzem Humor.
D. Bräg: Fast sarkastisch, wenn man eine Friedhofsordnung als Einladung verschickt mit dem Titel: Die Ruhezeit ist beendet.
H.D. Huber: Was ist dir an der Ironie wichtig?
D. Bräg: Die Infragestellung! Es gibt immer zwei Ansichten: Wie wird normalerweise mit Dingen umgegangen? Wie geht ein Obstbauer mit Obstbäumen um, eine Hausfrau mit Früchten? Sie kauft sie, macht Kuchen oder kocht sie ein. Ein anderer macht Schnaps daraus. Wie geht ein Biologe damit um? Der legt wieder Sammlungen an, Herbarien, katalogisiert, beschreibt, sucht Fundorte festzuhalten.
H.D. Huber: Es ist auch noch eine andere Umgangsweise, wie der Künstler damit umgeht.
D. Bräg: Ja, ich bin der, der untersucht, wie man untersucht. Jeder auf seine Weise, spezifisch. Der Künstler untersucht genauso, doch ohne oder mit anderem Ergebnis. Es entsteht eine Farce, die Ironie, in dem einer einen Pomologen mimt und doch keiner ist, eine Hausfrau mimt und doch keine ist, einen Waldarbeiter usw.... Die Leute erwarten ein Bild, es ähnelt ihm und ist doch nicht wahrhaftig. Es ist eine Attrappe eines Obstgartens, eine Attrappe eines Herbariums. Kultur ist so verformt, wie wir sie verformt haben, nur noch eine Naturattrappe.
H.D. Huber: Ironie ist also für dich ein Hilfsmittel, sowohl die eigene künstlerische Arbeit als auch die Situation des Kunstmuseums kritisch zu befragen. Ironie muß man aber erkennen. Ich könnte mir daher vorstellen, daß manche Besucher gar nicht registrieren, daß das ironisch gemeint ist, sondern die Arbeit wörtlich nehmen. Wie gehst du damit um, wenn sie dich sozusagen in die Ecke des Ökokünstlers stecken?
D. Bräg: Die Ironie kann man nicht erklären; sie steckt in meiner Arbeit. Entweder das spürt der Betrachter oder nicht. Ich kann nur erklären, daß ich nicht dieser Ökokünstler bin, überhaupt nicht..
H.D. Huber: Du gehst jetzt für ein Jahr nach Japan. Japan ist bekannt dafür, daß dort die Natur als die Kultur schlechthin gesehen wird dort ein ganz anderes Naturverständnis herrscht als bei uns in Europa. War das ein für dich, nach Japan zu gehen?
D.Bräg: Ja. Dort hat sich eine Kultur aus ganz anderen Begriffen entwickelt. Andererseits z. B. die Gärten ähnliche Formen. Der Aufbau eines traditionellen Gartens ist der gleiche: Bäume, Wasser, Zaun. Aber es bedeutet jeweils etwas anderes. Bei uns ist der Zaun eine Abgrenzung. In Japan bedeutet es die Verbindung von Innen nach Außen. Mich interessiert, wie man in einer vollkommen anderen KuItur an denselben Sachen arbeitet. Ich möchte sehen, was meine Künstlergeneration dort mit dem Naturbegriff, mit der Gartenkultur macht.
H.D. Huber: Könntest du dir vorstellen, daß es deinen Blick für die eigene Situation in Deutschland schärft?
D.Bräg: Auf jeden Fall. Wenn ich aus meinen eigenen Umräumen herausgelöst bin, aus meinem System, werde ich, wenn ich zurückkomme, sehen, was hier eigentlich der Fall ist. Es wird kein Vergleich stattfinden können, kein Vermischen. Darum wird umso deutlicher werden, daß der Einzelne zu einem Ganzen gehört.
H.D. Huber: Dann müssen wir unser Gespräch fortsetzen, wenn du aus Japan zurück bist.
D. Bräg: Genau.

Das Gespräch führte Hans Dieter Huber mit Daniel Bräg im Oktober 1994


Hans Dieter Huber