Hans Dieter Huber
Gabriele Caliari

First upload: 11.9.1996 last update: 25.6.2002

(erschienen in: Saur Allgemeines Künstlerlexikon: Die Künstler aller Zeiten und Völker, Leipzig: Saur Verlag 1997, Bd. 15, S.580-581) (mit freundlicher Genehmigung des K.G. Saur Verlag GmbH Leipzig)

Caliari, Gabriele Antonio, ital. Maler und Zeichner. Ältester Sohn des ital. Malers, Zeichners und Freskanten Paolo Veronese; getauft am 7. Sept. 1568, gest. 1631 (Ridolfi). Seine Mitarbeit erstreckt sich hauptsächlich auf die väterliche Werkstatt. Der Beginn seiner Mitarbeit ist um 1580, wenn nicht sogar schon früher, anzusetzen. Am 15. Juni 1598 verheiratete er sich mit Angela Galini. Trauzeugen waren der Maler Pace Pace und der Bildhauer Girolamo Campagna (Bratti). Ridolfi berichtet, daß G. nach dem Tode seines Vaters (1588), seines Bruders Carletto (1596) und seines Onkels Benedetto (1598) einige Werke beendete und sich eine gewisse Zeit als Händler betätigte. Trotzdem soll er seine künstlerische Tätigkeit nie ganz aufgegeben haben. Für diese Behauptung sprechen zwei Indizen: einmal der Hinweis Marco Boschinis, daß er bei G. praktiziert habe und das Gemälde G.s 'Der Empfang der persischen Gesandtschaft' in der Sala dello Quattro Porte im Dogenpalast zu Venedig, welches ein historisches Ereignis vom 5. Mai 1603 darstellt (Rizzi). Ridolfi erwähnt ferner, daß G. viele Porträts gemalt habe sowie wertvolle Pastelle. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt bestzen wir jedoch noch keine ausreichenden stilistischen Kriterien, seine Hand einigermaßen zuverlässig in dem großen Bestand an Ölporträts und Pastellzeichnungen der Veronese- Werkstatt, die heute fast pauschal Carletto C. zugeschrieben werden, zu erkennen. Als allgemeiner Ausgangspunkt für eine stilkritische Bestimmung G.s gilt das Altarbild mit der Hl. Maria, Hl. Anna, Gottvater und zwei Engeln in der Pfarrkirche zu Liettoli bei Padua, das mit 'Gabriele di Paulo Caliari Veronese F.' signiert ist (Larcher Crosato). Zeitlich in dessen Nähe müssen die Deckengemälde für das Refektorium von San Giacomo alla Giudecca in Venedig gerückt werden, die aufgrund zweier Zahlungsdokumente von der Hand G.s, in die Jahre 1590/91 datiert werden können. (Moschini Marconi, Sarpi) Es handelt sich aber auch hier um eine Gemeinschaftsarbeit von G., Carletto und Benedetto Caliari. Damit ist die Veronese-Forschung im Besitz einer Handschriftenprobe des ältesten Sohnes, die sich für die hartnäckigen Zuschreibungs- und Datierungsprobleme insbesondere des zeichnerischen uvres als nützlich erweist. Stilistisch gesehen ist G. der schwächste der Familie.Die Köpfe sind meist schematisch und steif gemalt. Zaghaft und mechanisch gesetzte Lichter wechseln sich mit pastos gesetzten Höhungen ab. Ohne viel Leben wirken die Figuren flach und maskenhaft. Seine Hände meist summarisch und konturbetont gemalt. Generell ist seine Maltechnik sehr einfach und wenig ausdifferenziert. Da es ihm selten gelingt, eine Figur wirklich plastisch erscheinen zu lassen, muss er stattdessen zu Konturen, Linien und harten Schatten greifen, um einen Anschein von plastischer Binnengliederung zu erreichen. Meistens bleiben sie flach, wirken wie ausgeschnitten, aufgesetzt oder eingefügt.Auch die Interaktionen zwischen verschiedenen Figuren bleiben meist unverstanden, statisch und leblos. Sie sind mechanisch und additiv aneinandergereiht. Die Variationsbreite G.s in der Erfindung von Körperhaltungen und Figurenordnungen ist relativ begrenzt. Häufig greift er auf bereits existierende Werkstattvorlagen zurück, die er kaum oder nur geringfügig variiert. Wenn einmal Höhungen in der Farbe auftreten, sind sie funktionslos und nur Zitate oder Nachahmungsversuche der Chromatik des Vaters, die sich kaum oder gar nicht in die darunterliegende Lokalfarbe einbinden.Sie stehen optisch vor ihr, nicht in der Farbe selbst und neigen daher zu stark ornamentaler Eigenwertigkeit. G. geht meist auf Nummer Sicher und variiert das Erlernte ohne, wie sein jüngeer Bruder, mit der Komposition zu experimentieren oder innovative Ideen einzuführen. Das zeichnerische uvre G.s ist bis heute kaum erforscht und enthält viele Fragezeichen. Tietze/Tietze-Conrat führen drei Handzeichnungen an, von denen allerdings eine (no. 2214) mittlerweile Giovanni Mauro della Rovere zugeschreiben wird.Einen ersten Ausgangspunkt für die Rekonstruktion der Federzeichnungen G.s bietet eine Zeichnung in Christ Church, Oxford aus der Sammlung von Carlo Ridolfi (Byam Shaw).Das Blatt trägt in der Handschrift Ridolfis den Vermerk 'Gabriel Caliari no i'. Da der wichtigste Informant Ridolfis über die C.-Familie der Sohn G.s, Giuseppe C. war, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, daß Ridolfis Angaben hier korrekt sind.Stilistisch gesehen, steht dieses Blatt allen bekannten, eigenhändigen Zeichnungen von Paolo Veronese und Benedetto C. fern. Es passt dagegen stilistisch sehr gut mit dem 'Raub der Sabinerinnen' aus dem Louvre zusammen. Aufgrund dieser Kenntnisse lassen sich versuchsweise drei weitere Federzeichnungen aus dem engsten Umkreis Paolo Veroneses an G. zuschreiben: der Entwurf für eine Wandgliederung mit zwei Loggien (Stockholm), eine Studie für einen Raub der Europa (Ashmolean Museum, Oxford) sowie eine Zeichnung nach dem 'Martyrum des Hl. Menna' in einer Privatsammlung in Tricesimo. Gemälde: LIETTOLI b. Padua, Pfarrkirche: Hl. Maria, Hl. Anna, Gottvater und zwei Engel, sign., um 1590, saletto, Pfarrkirche: Rosenkranzmadonna, Venedig, Accademia: Deckengemälde für das Refektorium von San Giacomo alla Giudecca, 1590/91 -Palazzo Ducale, Sala dello Quattro Porte: Der Empfang der persischen Gesandtschaft, 1603, verona, Municipio: Gastmahl im Hause des Pharisäers, um 1590/91 (zus. m. Carletto und Benedetto C.); Zeichnungen: Oxford, Christ Church: Studie für eine Kartusche, -Ashmolean Museum: Studie für einen Raub der Europa, Paris, Louvre: Raub der Sabinerinnen, Stockholm, Nationalmuseum:Entwurf für eine Wandgliederung mit zwei Loggien, Tricesimo, Slg. Miotti: Martyrum des Hl. Menna
Literatur:
DBI, 16, 699f.; Boschini, Marco: La Carta del Navegar Pitoresco. <1660> Edizione critica a cura di Anna Pallucchini. Venezia - Roma 1966, 734; Ridolfi, Carlo: Le Maraviglie dell'Arte , Venezia 1648. Hrsg. v. Detlev v. Hadeln, Bd.1, Berlin 1914, 361f.; Bratti, Ricciotti: Notizie d'arte e di artisti. In: Nuovo Archivio Veneto, 1915, N.S., a.XV, T.30, parte II, 451; Venturi, IX, 4, 1929, 1099-1108; Tietze, Hans/Tietze-Conrat, Erica: The Drawings of the Venetian Painters in the 15th and 16th Centuries. New York 1944, cat.nos. 2213 - 2215, Crosato Larcher, Luciana: Per Gabriele Caliari ; Arte Veneta, Vol XVIII, 1964, 174 - 175; Donzelli, Carlo/Pilo, Giuseppe Maria: I pittori del Seicento veneto. Firenze 1967, 104; Shaw, James Byam: Drawings by Old Masters at Christ Church Oxford; Oxford 1976, cat.no. 798, Abb. 487; Rizzi, Alberto: "Il ricevimento dell ambasceria persiana" di G. Caliari. In: Quaderni della Sopraintendenza ai Beni Artistici e Storici di Venezia, 8, 1979, 121 - 129; Pallucchini, Rodolfo: La pittura veneziana del Seicento. Milano 1981, 22; Franzoi, Umberto: Storia e Leggenda del Palazzo Ducale di Venezia. Prefazione di Terisio Pignatti. Venezia 1982, 100(?), 250-251; Anelli, Luciano: Considerazioni per. Gabriele Caliari. In: Brixia Sacra, Vol. XVIII, 1983, no. 1, 20 - 22; Fra Paolo Sarpi e i Servi di Maria a Venezia nel 750° Anniversario dell'Ordine. Ausstellungskatalog Venedig 1983, 90f.; Pignatti, Terisio/Pedrocco, Filippo: Veronese. Bd.1+2. Milano 1995; Hans Dieter Huber: Paolo Veronese. Kunst als soziales System, Kap.3 (in Vorb.)


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